oder
Eine juristische Begründung der Hundeerziehung
Der mit dem Aktenzeichen 1 U 599/18 veröffentlichte Beschluss des Oberlandesgerichts Koblenz vom 18.10.2018 wird von mir nicht nur deshalb ausdrücklich begrüßt, weil er eine deutliche Klarstellung eines Sachverhaltes ist, der eigentlich selbstverständlich sein sollte (aber bei vielen sogenannten Hundeliebhabern bei weitem nicht als selbstverständlich angesehen wird, wie die Reaktionen auf das Urteil zeigen), sondern weil er auch eine gute Grundlage bietet, einige Irrtümer in der Hundehaltung und Hundeerziehung – selbst bei vermeintlichen Fachleuten – aus der Welt zu schaffen. Das Herumgeeiere bezüglich der Auslegungsmöglichkeiten in den daraufhin veröffentlichten Kommentaren ist schon erschreckend.
Der betreffende Fall, der in erster Instanz am Landgericht Mainz und aufgrund der Berufung des Beklagten am Oberlandesgericht Koblenz erneut verhandelt wurde, bezieht sich auf einen Vorfall, bei dem der Kläger, der mit seiner angeleinten Hündin durch einen Wald joggte, infolge der Abwehr eines fremden frei und auf sie beide zulaufenden Hundes einen Riss der Quadrizepssehne erlitt und deshalb den Halter des frei laufenden Hundes auf Schadenersatz verklagte. Der Kläger hatte zuvor den Beklagten rufend aufgefordert, seinen frei und außerhalb dessen Sicht laufenden Hund zurückzurufen, was diesem aber nicht gelang. Mit anderen Worten: Der Beklagte hatte seinen Hund nicht im Griff.
Der Beklagte wehrte sich aber gegen die Schadensersatzforderung mit der Argumentation, dass sein Hund die Hündin des Klägers lediglich „umtänzelt“ habe, um mit ihr zu „spielen“, und deshalb gar keine Abwehrhandlung des Klägers notwendig gewesen sei.
Dem widersprach das Gericht mit Bezug auf die örtlich geltende Gefahrenabwehrverordnung, wonach der Hundehalter verpflichtet ist, seinen Hund außerhalb bebauter Ortslagen umgehend und ohne Aufforderung anzuleinen, wenn sich andere Personen nähern oder sichtbar werden. Es sei auch ohne Bedeutung, ob der Hund aggressiv sei oder nicht.
Soweit so gut und noch wenig Anlass zur Diskussion.
Aber die für mich viel bedeutendere Feststellung des Gerichts, die aber offensichtlich nicht wirklich von allen Debattierern verstanden geschweige denn akzeptiert wird, ist folgende:
Das Gericht stellte nämlich ferner fest, dass ein Spaziergänger effektive Abwehrmaßnahmenergreifen dürfe, wenn ein fremder Hund unangeleint und ohne Kontrolle durch dessen Halter in seine Nähe gelange, auch ohne, dass er zuvor die Gefährlichkeit des Hundes analysieren müsse; selbst ungeachtet der Tatsache, ob der Halter zuvor ruft: „Keine Angst, der will nur spielen!“
Mir fallen in diesem Kontext nämlich zwei Begebenheiten ein:
Die erste bezieht sich auf eine Äußerung einer meiner Kundinnen, die sich mir gegenüber im Sinne Goethes “Himmelhoch jauchzend, Zum Tode betrübt” mehr oder weniger resignierend beklagte, nachdem wir ihren Leinenrambo zuvor erfolgreich von seinen Aggressionen befreit hatten. Besser gesagt, wir hatten ihn erfolgreich von seiner Verantwortung für seine eigene Sicherheit und die von Frauchen entbunden, woraufhin er von da an alle anderen Hunde ignorierte (er sah also in ihnen keine Konkurrenten oder Gefahren mehr). Sie war nämlich einerseits “Himmelhoch jauchzend” offensichtlich unendlich happy über diesen Erziehungserfolg, äußerte sich aber “Zum Tode betrübt”, dass ihr Hund jetzt zwar keine Konfrontation mehr mit anderen seiner Spezies suche, weil er mit ihnen offensichtlich keinen Kontakt mehr wünschte. Aber was sei, wenn die anderen Hunde dies nicht in gleicher Weise tun? Sie müsse sich neuerdings ständig anderen HundehalterInnen gegenüber rechtfertigen, wenn sie sie auffordere, ihre Hunde zurück- und von ihrem Hund fernzuhalten und müsse sich nicht selten sogar deswegen beschimpfen lassen, warum sie es nicht wolle, dass die Hunde miteinander „spielen“.
Und eine zweite Begebenheit betraf mich zumindest indirekt selbst, in die ich mich einzugreifen gezwungen sah, als ein Vater mit seinem kleinen ca. 5 Jahre alten Sohn über einen Parkplatz in Richtung ihres Autos gingen. Zwei frei laufende Rottweiler, die der Halter sichtbar nicht wirklich im Griff hatte, liefen auf die beiden zu, so dass der Vater des Jungen sich genötigt sah, laut schreiend den Halter aufzufordern, die beiden Hunde zurückzurufen. Da der Halter aber nicht reagierte, sah ich mich als Beobachter der Szene gezwungen, mich einzuschalten und rief dem Halter zu, wenn er nicht sofort die Hunde zurückrufe, werde ich beide Hunde physisch ausschalten.
Ich erspare ihnen das Vokabular, mit dem der Halter mich daraufhin beschimpfte. Ich habe mich deshalb ihm gegenüber zu erkennen gegeben und ihm in sachlicher Form erläutert, welche Rechte der Vater des Sohnes bzw. ich in diesem Falle gehabt hätten und welche Pflichten ihm als Halter der Hunde obliegen. Da er sich einsichtig zeigte, sah ich von einer Anzeige ab, denn ich weiß, dass dieses Verhalten meistens auf Unkenntnis basiert und nicht auf böser Absicht (auch aus diesem Grunde halte ich übrigens einen Hundeführerschein, bei dem die Pflicht zur Aneignung eines ausreichenden Grundlagenwissens besteht, für zwingend notwendig).
Zu folgenden Bemerkungen sehe ich mich in diesem Kontext veranlasst:
1. Es ist sachlich falsch, anzunehmen, ein Hund, der auf einen anderen Hund zuläuft, tue dies mit der Absicht des Spielens. Die gegenseitige Kontaktaufnahme fremder Hunde untereinander dient ausschließlich der Befriedigung ihres Aufklärungsinteresses, worin die Absichten des anderen bestehen. Die dadurch initiierten Beschwichtigungssignale kann sogar der Laie erkennen.
2. Dieses Aufklärungsinteresse ist begründet im Streben des Hundes, sein Grundbedürfnis nach Sicherheit zu befriedigen. Daraus ergeben sich alle anderen Verteidigungsabsichten wie beispielsweise die von Frauchen oder irgendeiner Ressource wie das Revier.
3. Ergo, sollte ein Hund Kontakt zu einem fremden Hund aufnehmen, ist dies ein untrügliches Indiz dafür, dass ihm die Verantwortung für seine eigene Sicherheit oder die Sicherheit anderer Personen oder Ressourcen überlassen wurde, der er aufgrund seiner Veranlagungen instinktiv und grundsätzlich nachkommen will.
4. Die in dem Beschluss des Oberlandesgerichts Koblenz enthaltene Feststellung, dass ein Spaziergänger einen frei laufenden Hund effektiv abwehren kann, bedeutet im Klartext, dass im Ergebnis der Abwehr der Hund nicht mehr in der Lage ist, dem Abwehrenden oder dessen Schutzbedürftigem einen Schaden zuzufügen. Ich denke, es bedarf keines Kommentars, was dies bedeutet. Denn es wurde in der Feststellung nicht von einer effizienten, sondern von einer effektiven Abwehr gesprochen. Und die besondere Brisanz dieser Feststellung ergibt sich daraus, dass der Abwehrende weder die Absichten noch die Gefährlichkeit des Hundes zuvor analysieren muss.
5. Ich kann mich deshalb immer nur wiederholen, indem ich allen HundehalterInnen dringend empfehle, falls sie keinen ausgewiesenen Wach- und Schutzhund ihr Eigen nennen wollen (das wäre nämlich eine der wenigen Ausnahmen), ihre Hunde von ihrer wesenseigenen Verantwortung zu entbinden. Ein professioneller Hundetrainer sollte dies in kürzester Zeit – ihre Therapietreue vorausgesetzt – hinbekommen.
Ein erzogener Hund, der von seiner Verantwortung entbunden wurde – denn nichts anderes verbirgt sich hinter seiner Erziehung – empfindet kein Aufklärungsbedürfnis mehr und befreit bei Begegnungen mit seinesgleichen auch seinen Halter oder seine Halterin von allerlei Stress. Ein solcher Hund läuft auch nicht Gefahr, durch die berechtigten „Abwehrhandlungen eines Spaziergängers“ Schaden zu nehmen und schützt Frauchen oder Herrchen vor unangenehmen Schadenersatzforderungen.
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