oder
Dialog mit meinem Urgroßvater

Aus Erzählungen meines Opas weiß ich, dass sein Vater – also mein Urgroßvater – wie er selbst, auf seinem Hof stets mehrere verschiedenrassige Hunde gehalten hatte. Dabei kam jedem von ihnen eine bestimmte Rolle oder Aufgabe zu:

Zur Bewachung von Haus und Hof patroullierte ein Hovawart übers Gelände, der – wie schon sein Name aus dem Mittelhochdeutschen verrät: hova für Hof und wart für Wächter – ein perfekter Beschützer war. Und damit hinterher niemand auf die dumme Idee käme, sich zu beschweren, warnte an der Pforte ein kleines Schild mit der Aufschrift: „Vorsicht, bissiger Hund!“

Für das Behüten der Tiere auf der Weide bevorzugte man jedoch einen Schäferhund, der zu der Zeit noch eine sehr junge Rasse war aber genau für diese Aufgabe gezüchtet wurde.

Aber auf die Jagd – mein Urgroßvater war Forstmeister und passionierter Jäger – ging man mit einem Münsterländer, bei dem man im Rahmen seiner Zucht großen Wert auf diejenigen Veranlagungen legte und selektierte, die ihm für diesen „Job“ die perfekten Instinkte verlieh.

Und hätte ich meinen Urgroßvater fragen können, ob er denn seinen Münsterländer so ohne weiteres vom Züchter habe bekommen können, hätte er wahrscheinlich geantwortet:

– „Natürlich nicht. Ich musste dem Züchter versichern, dass ich ein sehr erfahrener Jäger bin und den Hund auch tatsächlich für diese Aufgabe benötige und nutzen werde.“

Meine Genugtuung hätte er mir sicherlich angesehen, denn heute, so scheint es, kann jeder ohne weiteres den Hund erwerben, den er gerade schick findet oder für sein eigenes Ego benötigt, egal ob er dessen Veranlagungen überhaupt nutzen oder seine Bedürfnisse entsprechend dieser Veranlagungen auch nur annähernd befriedigen kann, oder auch nicht. Die Beweise laufen quasi zuhauf auf der Straße:

Oma Hedwig lässt sich mit ihrem Rollator von einem Siberian Husky begleiten, die junge vierköpfige Großstadtfamilie teilt sich ihre kleine Plattenbauwohnung mit einem American Staffordshire Terrier oder eine Hausfrau geht regelmäßig mit einem Barsoi in Berlin über den Ku-damm spazieren.

Deshalb hätte ich meinem Urgroßvater zu gern noch ein paar weitere Fragen gestellt. Unter anderem, ob es zu seiner Zeit auch so viele Hundeschulen gegeben habe wie heute?

Seine Antwort wäre vermutlich – obwohl er ein sehr intelligenter und wortgewandter Herr gewesen sein soll – sehr zögerlich gekommen, weil er sie wahrscheinlich inhaltlich gar nicht verstanden hätte. Und sie wäre sicherlich als Gegenfrage ausgefallen:

– „Was ist denn das?“

Mit anderen Worten: Hundeschulen gab es nicht. Wozu auch?

Meine nächste sich daraus ergebende Frage wäre nämlich gewesen, ob und wie er denn seine Hunde erzogen habe? Vorausgesetzt er hätte auch diese Frage inhaltlich wirklich verstanden, könnte ich mir vorstellen, dass seine Antwort gelautet hätte:

– „Gar nicht. Meine Hunde haben doch genau das getan, wozu man sie auch gezüchtet hatte. Ich wollte ja nicht mit ihnen an einem Hunde-Treffen-Waldspaziergang teilnehmen. Warum sollte ich sie dann erziehen?“

Und da er ein sehr gebildeter Mann war, hätte er mich sicherlich darüber aufklären wollen, was denn eine Erziehung überhaupt sei; und damit den Gedanken an eine Hundeschule ad absurdum geführt:

– Der „Prozess der Veränderung im Dispositionsgefüge von Educanden (Schülern – der Autor)“.

Zugegeben, diese Definition hätte er so noch gar nicht kennen können, denn die hat erst viele Jahre später der Erziehungswissenschaftler Wolfgang Brezinka formuliert; aber sinngemäß hätte er sich sicherlich so oder ähnlich geäußert. Das heißt also, wenn das Dispositionsgefüge eines Hundes in Gestalt seiner Veranlagungen, mit deren Ausleben er die Bedürfnisse des Menschen ebenso befriedigt wie seine eigenen, quasi wie eine Blaupause mit den zu befriedigenden Interessen des Menschen übereinstimmen, gibt es keinen Grund, an diesem Dispositionsgefüge durch Erziehung etwas ändern zu wollen.

Folglich ist die Erziehung eines Hundes erst dann relevant, wenn beides nicht übereinstimmt; wenn der Hund also aufgrund seiner angezüchteten Veranlagungen ein anderes natürliches Verhalten zur Befriedigung seiner Bedürfnisse an den Tag legt oder legen will, als es im Interesse von Frauchen oder Herrchen liegt.

Ein Beispiel: Frauchen „verliebt“ sich in einen Australian Shepherd und „überredet“ den Züchter zum Verkauf, ohne den Hund anschließend und sofort im Rahmen einer Erziehung von seiner Verantwortung, der er natürlicherweise gerecht werden will, zu entbinden. In diesem Falle natürlich unbewusst, denn sie hatte keine Ahnung, dass dieser Hund speziell als lauffreudiger Hütehund gezüchtet wurde, der also am liebsten Tiere oder Kinder hütet oder das Haus bewacht. Ihre Verzweiflung ist dann riesig, wenn ihr Liebling nicht macht, was er soll. Denn sie wollte eigentlich nur mit ihm spazieren gehen und gerne an Hundetreffen ihrer Freundinnen teilnehmen.

Da aber mein Urgroßvater seine Hunde mit ihren jeweiligen Veranlagungen stets danach auswählte, wozu er sie benötigte, musste er auch nichts an ihnen herumerziehen. Sie machten natürlicherweise und instinktiv immer genau das, was sie auch sollten.

Aber eine Frage hätte mich dann doch noch interessiert, auch wenn es offensichtlich keine Erziehungsnotwendigkeit gegeben hat:

„Haben die Hunde denn auch mal was Böses angestellt?“

– „Na klar!“

„Und was hast du dann gemacht? Hast du sie dann positiv bestärkt, damit sie nie wieder was Böses machen?“

– „Wenn du so willst, ja. Ich habe ihnen ordentlich den Hintern versohlt! Denn das haben schon ihre Hundeeltern mit Erfolg gemacht, wenn sie ihnen auf der Nase herumgetanzt haben.“

„Dann hast du sie auch sicherlich nicht in eine Welpenspielgruppe geschickt, oder?“ Ich hätte mir selbst wahrscheinlich schon, bevor ich die Frage zu Ende gesprochen hätte, das laute Lachen nicht verkneifen können, aber seine Antwort wäre es mir wert gewesen. Natürlich müsste ich ihm zuvor erklären, was denn eine Welpenspielgruppe überhaupt ist. Und wahrscheinlich wäre mir bei seiner Antwort dann das Lachen doch vergangen:

– „Wozu denn dieser Unsinn? Ihr seid offensichtlich in eurer modernen Welt der Profitgier völlig verrückt geworden und denkt euch die irrwitzigsten Dinge aus, nur um den Leuten das Geld aus der Tasche zu ziehen. Der kleine Hund und sein Schicksal scheinen euch dabei völlig unwichtig zu sein. Habt ihr überhaupt eine Vorstellung, was eine Meute Welpen mit einem kleinen Fremden anstellt? Mobbing ist noch die harmloseste Variante. Selbst wenn alle im gleichen Alter sein sollten. Welchen Sinn sollte das haben? Kommt mir ja nicht mit dem Unsinn Sozialisation. Kein Hund benötigt zur Entwicklung seiner sozialen Kompetenz ein vermeintliches “soziales Training” mit seinesgleichen. Alles was er braucht, ist der Schutz durch sein Frauchen oder Herrchen!”