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Die Macht einer falschen Botschaft

In meinem vorletzten Beitrag bin ich auf den notwendig gewordenen Wandel des Hundetrainings eingegangen, der sich aus den Veränderungen in der Mensch-Hund-Beziehung, insbesondere in den letzten 50 Jahren, ergeben hat. Das heißt, die Bedeutung der Erziehung hat der Ausbildung insofern den Rang abgelaufen, als die Erziehung heute notwendiger ist als zu der Zeit, da der Hund noch überwiegend Wach- und Schutzaufgaben hatte und deshalb seinerzeit gar nicht von seiner Verantwortung für die eigene Sicherheit entbunden werden musste – was das Wesen einer Erziehung ist. Das ist mittlerweile deshalb anders geworden, weil er meistens nur noch als „sozialer Begleiter“ und weniger als „Beschützer“ fungieren soll.

Aber die Veränderungen haben neben den beschriebenen Aspekten noch eine weitere Auswirkung: Im Ergebnis seiner neuen Rolle als sozialer Partner im Zusammenleben mit dem Menschen hat auch die Anzahl der Hunde eine noch nie dagewesene Größenordnung angenommen. So ist die Zahl der Hunde allein in Deutschland in den letzten 12 Jahren von 5 Mio. auf 7,6 Mio. gestiegen. Und damit einhergehend ist der Hund zu einem wichtigen wirtschaftlichen Faktor geworden. Die Folge: Hundeschulen und HundetrainerInnen sind quasi wie Pilze aus dem Boden geschossen. Allerdings sind die fachlichen und behördlichen Hürden zur Ausübung einer solchen Tätigkeit relativ niedrig. Hinzu kommt der Konkurrenz- und Wettbewerbsdruck.

In letzterem liegt begründet die notwendige Werbung, die jeder für sich machen muss, um aus der grauen Masse herauszuragen. Ich habe durchaus Verständnis dafür, wenn eine Hundeschule aus diesem Grunde mittels eines kernigen Slogans auf sich aufmerksam machen will, um in knapper und prägnanter Form ihr Unterscheidungsmerkmal zu anderen deutlich zu machen, was durchaus legitim ist. Aber man sollte eine solche Kurzform, hinter der sich – wie der Altmeister der Kommunikation Paul Watzlawick schon 1969 in seinem 2. Kommunikationsaxiom beschreibt – neben der sachlichen Nachricht auch immer eine Botschaft verbirgt, sehr kritisch und wohl überlegt auswählen. Denn diese Botschaft kann im schlechtesten Fall verheerende Auswirkungen haben.

Deshalb seien mir ein paar kritische Bemerkungen gestattet zu einem Slogan, den ich kürzlich im Netz entdeckte, mit dem eine Hundeschule auf sich aufmerksam macht:

„Beziehung statt Erziehung“

Vornehmlich vor dem Hintergrund des sich in den letzten fünfzig Jahren notwendigerweise ergebenden fundamentalen Wandels im Hundetraining zugunsten der Notwendigkeit der Erziehung des Hundes, sind die Botschaften, die sich hinter diesem Slogan verbergen natürlich katastrophal.

Jeder Sprach- oder Kommunikationswissenschaftler wird bestätigen, dass die Semantik dieses Slogans zwei Botschaften – und ich behaupte, zwei gefährliche Botschaften – enthält:

1. Die Erziehung des Hundes wird – fatalerweise – mit einem negativen Sinn belegt und
2. die Erziehung des Hundes sei gar nicht notwendig, wenn Frauchen oder Herrchen stattdessen eine vernünftige Beziehung zum Hund aufbauen.

Dazu gebe ich zu bedenken: Wenn man einen Hund, der aufgrund seiner Rasse und Zuchthistorie ein relativ hohes Aggressionspotential besitzt, nicht erzieht – ihm also die ihm angeborene Eigenverantwortung für die Befriedigung seiner Grundbedürfnisse überlässt, wozu insbesondere sein Bedürfnis nach Sicherheit zählt – wird dieser Hund mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit sein gesamtes agonistisches Verhaltensrepertoire einschließlich aller Arten von Aggressionen zur Befriedigung dieses Grundbedürfnisses auch ausnutzen. In dem Falle darf man ihn aber nicht als intraspezifisch und interspezifisch sozialisiert betrachten. Er ist dann quasi als „Kuscheltier“ ungeeignet.

Anders ausgedrückt:

Ein Hund, der nicht bewusst und willentlich als Wach- oder Schutzhund eingesetzt werden soll, dazu aber die genetischen Veranlagungen besitzt – und dazu zählen nicht nur die sogenannten Listenhunde – muss zwingend erzogen werden, weil er sich ansonsten naturgemäß wie ein Wach- oder Schutzhund verhält.

Das Nichtbeachten dieses Grundsatzes führt in der Regel dazu, dass dieser Hund wegen seines natürlichen agonistischen Verhaltens – bedauerlicherweise nicht nur vom Laien – fälschlicherweise als verhaltensauffällig eingeschätzt wird und dann fatalerweise für dieses Verhalten reglementiert wird bzw. Sanktionen ertragen muss. Und schon ist der sogenannte Problemhund „geboren“, denn er kommt jetzt in Konflikte.

Wenn diese Besitzerin sich jetzt an diese Hundeschule wendet, mit der Bitte, ihren Hund von diesen „Macken“ zu befreien und die Hundeschule, die offensichtlich eine Erziehung ablehnt, stattdessen den Hund über eine „gute Beziehung“ von seinem ungewollten agonistischen Verhalten abbringen will, kommt nicht nur der Hund in einen völlig unnötigen Stress, sondern der erwartete Erfolg muss ganz einfach ausbleiben. Denn diesen Hund in seinem Verhalten ändern zu wollen, hieße, ihn von seiner Verantwortung für seine eigene Sicherheit zu entbinden. Und da dies nur über den Weg der Erziehung gelingt, denn beides ist miteinander identisch, muss quasi diese Hundeschule an der Lösung des Problems scheitern.

Ich verstehe ja, dass die Verfasser solcher Slogan geschickt die momentane Stimmung pro Tierliebe und contra Tierquälerei ausnutzen und der Hundeliebhaber für solche Botschaften empfänglich ist. Aber ich kann nur dringend davor warnen, die Erziehung des Hundes in diesem Kontext als etwas Negatives zu verdammen oder vielleicht als überflüssig darzustellen, weil es angebliche andere Wege gäbe. Im Gegenteil, ausschließlich die Erziehung ist in der Lage, den Hund von seiner Verantwortung für die Befriedigung seiner Grundbedürfnisse zu entbinden und damit vor völlig unnötigem Stress zu bewahren oder ihn davon zu befreien.