Oder Liegt das vielleicht an den „modernen“ Erziehungsmethoden?

Laut des Onlinedienstes nordbayern.de habe die Zahl der vom Bayerischen Innenministerium erfassten Hunde-Angriffe deutlich zugenommen. Demnach seien vor neun Jahren 447 Menschen gebissen worden und 23 weitere das Opfer einer Kampfhund-Attacke geworden. 2018 wären es 659 Angriffe von Hunden gängiger Rassen und 45 durch so genannte Kampfhunde gewesen.

Abgesehen davon, dass aus diesen Zahlen hervorgeht, dass die so genannten Kampfhunde bzw. Listenhunde offensichtlich gar nicht das eigentliche Problem zu sein scheinen, wie immer wieder geunkt wurde, ergeben sich daraus u.a. zwei interessante Fragen: Zum einen die nach dem Warum für die steigenden Zahlen, die nicht nur in Bayern oder NRW zu verzeichnen sind und zum anderen, ob zu erwarten ist, dass die Beißattacken auch weiterhin zunehmen werden?

Die letzte Frage ist relativ schnell beantwortet: Ja, da die Ursachen nicht beseitigt werden, wie meine Antwort auf die erste Frage zeigen wird.

Auch wenn es eine einfache Antwort auf die erste Frage nicht geben kann, denn das Problem ist komplex, und ein solches ist schon laut Definition durch eine Vielzahl an Einflussgrößen, deren Vernetztheit untereinander und ihre Intransparenz, Eigendynamik und Polytelie (unterschiedliche Zielstellungen, die mit ihren Veränderungen beabsichtigt werden) gekennzeichnet, lässt meine Antwort trotzdem den Schluss zu, dass in Zukunft die Beißattacken – oder generell die Übergriffe von Hunden auf Menschen und Tiere – zunehmen werden.

Dass es ein komplexes Problem ist, wird schon an den Erklärungsversuchen deutlich. Beispielsweise wird seitens mancher Fachleute als Begründung gerne angeführt, dass sich allein schon aus der stetigen Zunahme der Anzahl von Hunden rein rechnerisch eine Zunahme an Beißattacken ergebe; was statistisch betrachtet nicht ganz falsch ist aber als nennenswerter Grund nicht wirklich taugt. Ebenso die Erklärungsversuche durch die Vorsitzende des Verbandes für das Deutsche Hundewesen (VDH) in Bayern, wonach immer mehr Hunde aus Osteuropa mit einer fragwürdigen Welpen-Prägungsphase in unser Land kämen oder immer mehr Menschen sich einen Hund kaufen würden, die gar keine Zeit für das Tier hätten. Und auch ihr Ruf nach einem verpflichtenden Hundeführerschein ist nicht falsch, geht aber meiner Erfahrung nach ebenfalls am eigentlichen Problem vorbei.

Und dieses Kernproblem offenbart sich in einem ihrer weiteren Erklärungsversuche, wenn sie sagt, Hunde bräuchten neben ausreichender Betreuung und viel Auslauf aber vor allem auch Erziehung und müssten auf die Kommandos „Sitz“, „Platz“ und „Fuß“ hören. Denn hierin offenbart sich das eigentliche Dilemma:

Zwar nennt sie richtigerweise die fehlende Erziehung der Hunde als einen Grund aber fehlinterpretiert nicht nur ihre zentrale Bedeutung durch das Wörtchen „auch“, sondern definiert sie obendrein auch noch völlig falsch.

Die fehlende Erziehung nur als eines von vielen Ursachen zu beschreiben, selbst wenn sie es mit der Floskel „vor allem“ einleitet, ist schon sehr fragwürdig, denn ich wage zu behaupten, dass fast alle Beißattacken in der ausgebliebenen Erziehung dieser Hunde begründet ist. Deshalb hätte dieser Grund als allererstes und wichtigstes genannt werden müssen. Denn das Beißen zählt zum natürlichen agonistischen Verhaltensrepertoire fast aller Hunderassen, welches sie auch nutzen, so ihnen zuvor der dafür notwendige Entscheidungsspielraum im Rahmen einer Erziehung nicht genommen oder eingeschränkt wurde. Und wenn ein Hund sein agonistisches Verhaltensrepertoire nutzen darf, ist ihm dieser Entscheidungsspielraum definitiv nicht eingeschränkt worden. Mit anderen Worten: Der Hund wurde schlicht und ergreifend nicht erzogen, denn die Einschränkung des Entscheidungsspielraumes ist neben seiner Entbindung von der Verantwortung das zweite Element seiner Erziehung.

Und zum anderen bestätigt sie mit ihrer Aussage wieder die von mir immer und immer wieder kritisierte Wissenslücke zum Unterschied zwischen Erziehung und Konditionierung. Denn wenn sie das Befolgen von Kommandos wie „Sitz“, „Platz“ & Co. in einem Kontext mit der Erziehung nennt, liegt der Verdacht nahe, dass auch sie diesen Unterschied nicht wirklich realisiert. Sitz, Platz & Co. haben mit der Erziehung des Hundes nämlich nichts zu tun, sondern sind ausschließlich das Ergebnis hündischer Konditionierungen. Und dass mittels einer Konditionierung kein Hund erzogen werden kann, habe ich bereits nicht nur in meinen beiden Büchern ausgiebig begründet, sondern ebenso in einer Vielzahl von Beiträgen an dieser Stelle.

Den Unterschied zwischen Erziehung und Konditionierung habe ich übrigens ausführlich u.a. im letzten Beitrag Nr. 90 beschrieben und will es deshalb hier nicht wiederholen.

In diesem quasi Nichterkennen des Unterschiedes zwischen Konditionierung und Erziehung sehe ich den Hauptgrund, warum so viele Hunde nicht erzogen sind. Denn dadurch glauben viele, ihren Hund erzogen zu haben oder ihn erziehen lassen zu haben, obwohl das, was mit dem Hund gemacht wurde, nichts anderes war, als ihn auszubilden. Denn Konditionierung und Ausbildung sind quasi identisch. Und ein Hund, der zuverlässig „Sitz“, „Platz“ & Co. beherrscht, oder sich tanzend auf einem Bein zum Clown macht, ist zwar gut ausgebildet (konditioniert), aber noch lange nicht erzogen. Denn nach seiner Konditionierung ist ja der Grund für seine Beißattacken nicht verschwunden, was bei seiner erfolgreichen Erziehung jedoch der Fall wäre.

Der Grund, der mich zu der Annahme veranlasst, die Hunde seien alle nicht erzogen, leitet sich aus der Vielzahl von Berichten enttäuschter HundehalterInnen her, die alle mindestens einen erfolglosen Hundeschulbesuch hinter sich haben, bei denen ihre Hunde entsprechend ihres vorgebrachten Wunsches hätten erzogen werden sollen. Wenn ich mir dann jedoch die Methoden beschreiben lasse, mit denen die Erziehungsversuche seitens der Hundetrainer unternommen wurden, dann kann es sich nur um Konditionierungsversuche gehandelt haben.

Und damit sind wir wahrscheinlich beim eigentlichen Problem, was letzten Endes zu der hohen und weiterhin steigenden Anzahl an Beißattacken führt: Die Hunde werden schlicht und ergreifend gar nicht erzogen. Und das nicht etwa, weil es jemand vielleicht vergisst oder nicht will. So eigenartig es sich anhören mag, der Grund dafür liegt in der fachlichen Unkenntnis vieler Hundetrainer(innen), was eine Erziehung des Hundes eigentlich ausmacht. Die so genannten „modernen Erziehungsmethoden“ führen wahrscheinlich dazu, dass viele Hundetrainer im guten Glauben meinen, den Hund zu erziehen oder erzogen zu haben; tatsächlich ihn jedoch nur konditioniert haben.

Und woran das wiederum liegt, werde ich in einem meiner nächsten Beiträge erläutern. Nur soviel vorab: Es hat im weitesten Sinne etwas damit zu tun, was das Fernsehen heute „im harten Dienst der Volksverblödung Tag um Tag unternimmt“ – wie Eberhard Schwanitz es in seinem Werk „Bildung – alles, was man wissen muss“ nennt.