Allgemeine Geschäftsbedingungen „Hundetrainer Bartz“.
Diese AGB´s sind Vertragsbestandteil. Wenn im Text die maskuline Form benutzt wird, gilt gleichsam die feminine.
1. Vertragsinhalt / Geltung
Die folgenden AGB´s sind Grundlage für jede Geschäftsbeziehung des Hundetrainers „Hundetrainer-Bartz“ und Kunden, die das Hundetraining wahrnehmen oder den Shop nutzen. Der Kunde erhält im Rahmen des Trainings Handlungsvorschläge für eine artgerechte Hundeerziehung. Eine Erfolgsgarantie kann daraus jedoch nicht abgeleitet werden. Der Erfolg hängt in erster Linie vom Wesen des Hundes und seinen Veranlagungen sowie der Konsequenz des Hundehalters im Anschluss an das Training ab.
2. Vertragsschluss
Mit der Anmeldung zu einem Angebot des Hundetrainers „Hundetrainer-Bartz“ bietet der Kunde verbindlich einen Vertragsabschluss an. Die Anmeldung ist bindend für den Kunden und verpflichtet zur Zahlung der vereinbarten Trainingsgebühr. Der Vertrag kommt erst mit der Annahme durch die Hundeschule zustande. Durch den Vertragsabschluss gelten unsere AGB´s als anerkannt.
3. Lieferungen
3.1. Widerrufsrecht
Die im Folgenden getroffenen Angaben zu einer Buchbestellung treffen nur zu, wenn ein Buch direkt bei “Hundetrainer-Bartz” bestellt und von ihm versandt wird. Sie treffen nicht zu, wenn die Buchbestellung über einen verlinkten Buchhandel wie BoD erfolgt; dann gelten die AGB’s des Buchhandels.
Der Kunde kann die erhaltenen Bücher ohne Angabe von Gründen innerhalb von 14 Tagen durch Rücksendung zurückgeben. Die Frist beginnt nach Erhalt dieser Belehrung in Textform (z.B. Brief, Fax, E-Mail), jedoch nicht vor Eingang der Ware beim Empfänger und auch nicht vor Erfüllung unserer Informationspflichten. Zur Wahrung der Frist genügt die rechtzeitige Absendung der Ware an folgende Anschrift:
Sascha Bartz
Gartenweg 5
18236 Neu Karin
Im Falle einer wirksamen Rückgabe sind die beiderseits empfangenen Leistungen zurückzuerstatten und ggf. gezogene Nutzungen (z.B. Gebrauchsvorteile) herauszugeben. Bei einer Verschlechterung der Ware kann Wertersatz verlangt werden. Dies gilt nicht, wenn die Verschlechterung der Ware ausschließlich auf deren Prüfung, wie sie Ihnen etwa im Ladengeschäft möglich gewesen wäre, zurückzuführen ist. Sie können die Pflicht zum Wertersatz für eine durch die bestimmungsgemäße Ingebrauchnahme der Sache entstandene Verschlechterung vermeiden, indem Sie die Ware nicht wie Ihr Eigentum in Gebrauch nehmen und alles unterlassen, was deren Wert beeinträchtigt. Haben Sie sich den Inhalt des Buches zugänglich gemacht und es damit in Gebrauch genommen, entspricht der Gebrauchsvorteil, den Sie aus der Sache gezogen haben, dem Wert des Buches. Verpflichtungen zur Erstattung von Zahlungen müssen innerhalb von 30 Tagen erfüllt werden. Die Frist beginnt für Sie mit der Absendung der Ware, für uns mit dem Empfang.
3.2. Gewährleistung
Die Gewährleistung erfolgt nach den gesetzlichen Bestimmungen, wobei wir im Falle eines Mangels der Ware nach Ihrer Wahl zunächst nachliefern oder nachbessern. Schlägt die Nachbesserung fehl oder ist die nachgelieferte Ware ebenfalls mangelbehaftet, können Sie die Ware gegen Rückerstattung des vollen Kaufpreises zurückgeben oder die Ware behalten und den Kaufpreis mindern. Mängel, Falschlieferungen, Fehlmengen, zuviel gelieferte oder falsch bestellte Waren müssen innerhalb von 8 Tagen geltend gemacht werden. Andernfalls gilt die Ware als mängelfrei.
3.3. Versandkosten
Die Versandkosten richten sich nach den aktuell geltenden Kostensätzen der Versendedienstleister und betragen momentan 4,09 EUR. Wir behalten uns vor, diese bei Änderungen anzupassen.
4. Preise und Bezahlung
Die Preise für das Training und die Bücher sind auf der aktuellen Webseite “Hundetrainer-Bartz” aufgelistet, können aber auch telefonisch oder per e-mail erfragt werden. Alle Preise sind in EURO einschl. der gesetzlichen Mehrwertsteuer angegeben und falls nicht anders vereinbart, im Voraus in bar oder per Überweisung zu entrichten.
5. Rücktritt vom Vertrag durch die Hundeschule
Die Hundeschule „Hundetrainer-Bartz“ kann vom Vertrag zurücktreten, wenn
- der Kunde sich vertragswidrig verhält oder das Ziel der Ausbildung oder andere Teilnehmer gefährdet.
- der Hundetrainer ausfällt oder bei sonstigen unvorhersehbaren Ereignissen, z.B. Wetterverhältnisse, die eine Durchführung des Trainings unzumutbar machen. In diesem Fall wird die Trainingsstunde in Absprache mit dem Kunden möglichst schnell nachgeholt.
6. Rücktritt vom Vertrag durch den Kunden
Der Kunde muss ein Training mindestens 48 Stunden vor Trainingsbeginn absagen. Ansonsten liegt die Berechnung des Trainings im Ermessen des Trainers. Ein Ersatztermin muss in diesem Fall vom Kunden benannt werden.
7. Haftpflichtversicherung und Verantwortung
Für jeden teilnehmenden Hund muss eine gültige Haftpflichtversicherung bestehen. Jeder Hundehalter nimmt selbst am Training teil. Er ist auch während dieser Zeit verantwortlicher Tierhalter und Tieraufseher im Sinne der §§ 833, 834 BGB. Auch während der Trainingszeit obliegt dem Hundehalter die Führung des Tieres eigenverantwortlich, sie wird nicht an den Trainer abgetreten.
8. Impfschutz
Der Besitzer des Hundes erklärt, dass sein Hund frei von ansteckenden Krankheiten ist und über einen ausreichenden Impfschutz verfügt. An einem Training können nur Hunde teilnehmen, die über einen jeweils notwendigen Impfschutz verfügen.
9. Haftung
Die Hundeschule „Hundetrainer-Bartz“ übernimmt keinerlei Haftung für Personen-, Sach- oder Vermögensschäden, die dem Hundehalter oder seinem Hund oder Begleitpersonen durch die Anwendung der gezeigten Übungen, den Freilauf der Hunde, Rangeleien von eigenen oder fremden Hunden im Freilauf entstehen. Eine Haftungsverpflichtung besteht nur bei grober Fahrlässigkeit oder Vorsatz der Hundeschule. Alle Begleitpersonen sind von dem Haftungsausschluss in Kenntnis zu setzen. Der Hundehalter haftet in vollem Umfang nach Maßgabe der gesetzlichen Haftungsregelung für jegliche Schäden die sein Hund verursacht. Soweit es im Rahmen der Ausbildung notwendig ist, den Hund von der Leine zu lassen, weisen wir ausdrücklich auf die gesetzlichen Bestimmungen hin. Die Hundeschule kann nur eine Empfehlung aussprechen, der Hundehalter handelt eigenverantwortlich.
10. Erfolgsgarantie
Die Hundeschule „Hundetrainer-Bartz“ übernimmt keine Erfolgsgarantie für die im Unterricht vermittelten Inhalte. Sie versichert jedoch, diese nach bestem Wissen und Gewissen zu vermitteln.
11. Datenschutz
Soweit es zur Organisation der Hundeschule notwendig ist, dürfen personenbezogene Daten des Kunden für eigene Zwecke erhoben, gespeichert und verarbeitet werden. Für Aufnahmen, egal welcher Art, gilt grundsätzlich ein unbegrenztes Nutzungsrecht für die Hundeschule. Der Teilnehmer hat die Möglichkeit, diesem Nutzungsrecht zu widersprechen. Der Widerspruch muss schriftlich erfolgen.
12. Urheberrecht
Sämtliche Trainingsmethoden, die der Hundetrainer während des Trainings des Hundes und seines Halters anwendet, sind das Know-how der Hundeschule “Hundetrainer-Bartz” und unterliegen dem urheberrechtlichen Schutz. Der Kunde darf sie nur im Interesse des Trainingszweckes seines eigenen Hundes anwenden und nutzen. Die Verbreitung und Bekanntgabe gegenüber Dritten ist hiermit ausdrücklich untersagt.
13. Unwirksamkeitsklausel
Salvatorische Klausel
Sollten einzelne Bestimmungen dieses Vertrages unwirksam sein oder den gesetzlichen Regelungen widersprechen, wird hierdurch der Vertrag im Übrigen nicht berührt. Die unwirksame Bestimmung wird von den Vertragsparteien einvernehmlich durch eine solche Bestimmung ersetzt, welche dem wirtschaftlichen Sinn und Zweck der unwirksamen Bestimmung in rechtswirksamer Weise am nächsten kommt. Die vorstehende Regelung gilt entsprechend bei Regelungslücken.
14. Haftung für Links
Die Hundeschule „Hundetrainer-Bartz“ distanziert sich im Rahmen der gesetzlichen Bestimmungen ausdrücklich von allen Inhalten aller verlinkten Webseiten. Für diese Inhalte sind die jeweiligen Eigentümer der Webseiten verantwortlich. Der Inhalt dieser Webseite darf ohne ausdrückliche Zustimmung des Eigentümers weder kopiert, verbreitet, verändert noch auf andere Weise verwendet werden.
15. Gerichtsstand
Der Gerichtsstand ist Bad Doberan
85. Der Witz namens „LEINENMENTALTRAINING“
oder
Hat Harry Frankfurt Recht?
Was ich – ebenso wie Sie vermutlich auch – bis dahin noch nicht wusste, ist, dass Harry Gordon Frankfurt ein US-amerikanischer Philosoph ist. Ich stieß bei einer Recherche im Netz auf seinen Namen, weil ich auf der Suche nach einer etwas vornehmeren Begrifflichkeit für den Ausdruck Bockmist war. Ich traf auf ihn, weil On Bullshit der Originaltitel seines Werkes ist, in dem er eine 80-seitige Begriffserläuterung abgibt. Dass man so viele Seiten zu einem Begriff wie Bockmist oder Humbug füllen kann, war selbst für mich eine bemerkenswerte Nebenerkenntnis. Ich werde nämlich auch hin und wieder wegen meiner zu langen Texte kritisiert.
Aber wie komme ich darauf?
Immer wieder mal bitten mich KundInnen, meine Meinung zu sagen zu bestimmten Empfehlungen der Hundeerziehung, die sie im Internet entdeckt haben. Meistens geht es dabei um Empfehlungen, auf welchem Wege Hunde von ihren Macken wie Zerren, Bellen, Jagen oder Aggressionen aller Art befreit werden können.
Zugegeben, so richtig wohl fühle ich mich dabei nicht, denn es ist stets eine Gratwanderung zwischen Kritik und Verunglimpfung. Deshalb werde ich auch nie Namen nennen. Aber – wie ich auch bereits mehrmals betont habe – will ich mit meinen Beiträgen auch allen enttäuschten und teilweise verzweifelten HundehalterInnen eine Stimme geben, die trotz teuer bezahlter Trainingsstunden keine wirkliche Hilfe bekommen haben, und der Grund dafür in den angewendeten Trainingsmethoden zu finden ist, die zumindest nach meinen Erfahrungen und meinem Wissen schlicht und ergreifend falsch sind. Und als Grund nicht zu vergessen ist der vermeidbare Stress, den die vielen Hunde ertragen müssen, indem wochen- oder monatelang stümperhaft an ihnen herumgedoktert wird.
Und so fragte mich kürzlich während meiner Tour durch Österreich eine Kundin, die mich gerufen hatte, weil ihr „Leinenaggressor“ sie nervte, ob ich auch ein Leinenmentaltraining anböte. Wohlbemerkt, bevorich mich mit ihrem Schützling beschäftigte. Denn im Anschluss an die Trainingseinheit – und das musste sie dann auch lachend eingestehen – wäre sie wohl kaum noch auf eine solch absurde Fragestellung gekommen. Aber wie gesagt, sie konfrontierte mich mit ihrer Frage, bevor ich ihren Rambo „erzogen“ hatte. Und da ich offenbar etwas ungläubig dreinschaute, denn mir war weder der Begriff Leinenmentaltraining geläufig noch erschloss sich mir der Sinn so wirklich, schickte sie sich an, mich aufzuklären:
Es gebe nämlich einen Internet-Blog, in dem zu diesem Thema immerhin ganze Seiten gefüllt werden. Im Kern gehe es darum, dass – bevor das eigentliche Leinentraining mit dem Hund beginne – der Mensch sich zunächst im Rahmen eines mentalen Trainings, quasi allein durch seine Vorstellungskraft, das angenehme Gefühl aneignen solle, welches sich einstelle und man empfände, wenn der Hund nicht mehr an der Leine zerre. Dazu werde u.a. folgende Übung empfohlen: Frauchen oder Herrchen sollen versuchen – wie gesagt ohne Hund –, mit locker herunterhängendem Arm und locker herunterhängender Leine in der Hand, sowie unterschiedlich angewinkelten Unterarmen, das sich jetzt einstellende angenehme Gefühl in sich zu spüren und einzuprägen. Die Absicht, die dahinterstecke, sei, die für ein erfolgreiches Training notwendige Vorstellung, Erwartungshaltung und Überzeugung zu erlangen, ohne die angeblich der Erfolg des anschließenden „vernünftigen“ Leinentrainings ausbleiben könne; sozusagen als Voraussetzung, um überhaupt mental bereit zu sein, das Ziel des Leinentrainings zu erreichen. Wohlbeachtet, alles ohne Hund; nur mit locker herunterbaumelnder Leine in der Hand!
Wieder zu Hause angekommen, drängte es mich dann doch, selbst einmal ins Netz zu schauen, um auszuschließen, ob es sich nicht doch um einen Scherz handelte, den sich die Kundin mit mir erlaubte. Aber weit gefehlt; es gibt diese Empfehlungen tatsächlich:
Die Tiertrainerin betitelt ihre Empfehlungen zwar immerhin selbst als „ungewöhnliche Leinenübungen“, aber lässt keinen Zweifel an der Ernsthaftigkeit ihrer Ratschläge. Und sie empfiehlt sogar, die Übungen ein paar Tage lang zu wiederholen und sich quasi selbst zu beobachten, was mit einem geschehe.
Aber es kommt noch besser! So empfiehlt sie ernsthaft (ich zitiere wortwörtlich einschließlich der im Original benutzten Kleinschreibung):
„bleib in dieser körperhaltung, die leine in der hand (die locker zu boden hängt) und stell dir nun vor, dass du mit dem hund unterwegs bist. der läuft ganz entspannt an lockerer leine mit dir mit – stell dir das richtig bildlich vor, schau mal: jetzt wird er langsamer und schnüffelt ein wenig, jetzt geht er weiter, wird etwas schneller, aber er bremst sich wieder ein, bevor das ende der leine erreicht ist…. achte drauf, dass dein arm auch wirklich so entspannt bleibt, wie er vorher war und nicht schon die blosse vorstellung vom hund an der leine deinen muskeltonus wieder erhöht.“
Doch auch damit noch nicht genug. Um den Hund von seinem Zerren abzubringen, rät sie auch, eine Atemübung anzuwenden:
Ich zitiere: „zu den wichtigsten werkzeugen im hundetraining überhaupt zählt das ausatmen, besonders aber im leinentraining. wenn du tief und hörbar ausatmest, dann entspannt sich dein körper ganz unwillkürlich – und dein hund ganz automatisch mit. damit unterbrichst du wirksam euer zerrspiel (und deine emotionen, falls dir die zieherei mal wieder auf die nerven geht! entspannung ist das, was man für eine lockere leine braucht. also üb auch das erst mal im trockentraining. stell dir vor, dein hund zieht an der leine, atme tief aus und spür, wie du dich entspannst und wie die leine locker wird. wenn du das vorher schon übst, fällt es im bedarfsfall leichter.“
Ich machte während der Lektüre auch eine Mentalübung und stellte mir einmal eine meiner Alltagssituationen vor: Ich würde einem Kunden, der einen 60-kg Rottweiler, einen Pitbull Terrier oder vielleicht einen American Staffordshire Terrier sein Eigen nennt und nicht mehr Herr seines Leinenaggressors ist, empfehlen, falls sein Kraftpaket sich wieder einmal anschicken sollte, ihn durch die Gegend zu schleifen, Atemübungen einzulegen.
Aber Spaß beiseite.
Um einen an der Leine zerrenden Hund nachhaltig und sofort von seinem unerwünschten Verhalten abzubringen und eine dafür geeignete Trainings- oder besser gesagt Erziehungsmethode auszuwählen, macht es Sinn, sich zunächst die Ursachen des Zerrens bewusst zu machen. Denn die Lösung kann nur in der Beseitigung der Ursachen liegen und nicht im Herumdoktern an den Symptomen.
Nach meinen Erfahrungen gibt es nur einen Grund, warum ein Hund permanent an der Leine zerrt. Wohlbemerkt permanent! Theoretisch gebe es noch zwei weitere, die zu einem gelegentlichen Zerren führen. Dazu zählt zum einen der ausgelöste Jagdinstinkt, falls Meister Lampe am Horizont auftauchen sollte und Bello zuvor nicht erzogen, ihm also sein Entscheidungsspielraum diesbezüglich noch nicht eingeschränkt wurde. Und zum anderen das gewissermaßen in Auftrag gegebene Zerren; beispielsweise, wenn Bello einen sechsmal so schweren Schlitten wie er selbst wiegt samt Chefin oder Chef quer durch Sibirien schleppen soll. Aber ich denke, dass letzterer nicht gemeint ist, wenn Frauchen oder Herrchen gegenüber einer Hundeschule das Zerren ihrer Schützlinge beklagen und um Abhilfe bitten.
Beim Jagdinstinkt kann insofern auch „Entwarnung“ gegeben werden, da er sich gleichzeitig und sozusagen als schöner Nebeneffekt als Problem in Wohlgefallen auflöst, wenn der oben erwähnte eine Grund für das permanente Zerren beseitigt wurde. Damit will ich darauf hinweisen, dass ein separates Antijagdtraining, von dem auch häufig die Rede ist, unnötig oder überflüssig ist, wenn der Hund erzogen wurde.
Und dieser eine Grund für das permanente Zerren resultiert aus Frauchens oder Herrchens Verhalten dem Hund gegenüber. Wenn sie ihm nämlich durch ihre Gesten und Verhaltensweisen in bestimmten Schlüsselszenen signalisiert haben (meistens geschieht dies unbewusst), dass sie entweder nicht willens oder nicht fähig sind, sich und ihn zu beschützen. Und da es nach über 30.000 Jahren Domestikation den meisten Hunderassen ohnehin ins Genom geschrieben wurde, alle ihnen anvertrauten Personen und Ressourcen beschützen zu wollen, übernimmt jeder Hund quasi unaufgefordert und ohne ausdrückliche Anweisung oder Konditionierung diese Verantwortung. Ein untrügliches Indiz dafür, ob der Hund sich dieser Verantwortung bewusst ist, ist sein demonstrierter unbändiger Wille zum Aufklären des Reviers, um jegliche Feinde oder Gefahren zu eruieren. Also zerrt er wie von Sinnen, um möglichst schon weit voraus diese aufzuspüren und gegebenenfalls zu verjagen.
In diesem Zusammenhang sei mir gestattet, einem weit verbreiteter Irrtum zu widersprechen. Wer glaubt, der unbändige Wille zum Aufklären des Reviers sei im Bedürfnis des Hundes begründet, mit seinesgleichen kommunizieren zu wollen, irrt. Ich habe dies übrigens in meinen Büchern ausführlich begründet.
Also ist der sich daraus logisch ergebende Schluss:
Wenn man Bello von seinem permanenten Zerren „befreien“ will, muss man ihn von dieser Verantwortung befreien. Statt seiner müssen Frauchen oder Herrchen die Verantwortung für ihre beider Sicherheit übernehmen und Bellos Entscheidungsspielraum drastisch einschränken.
Das wird einem allerdings kaum gelingen, indem man mit dem Hund Atemübungen macht.
84. Der Unfug namens „ERZIEHEN DURCH BELOHNUNG!“
oder
Was ist ein Oxymoron?
Zugegeben, nachdem ich in einer Publikation auf diesen Begriff gestoßen war, musste ich auch erst – wie wahrscheinlich jeder, der nicht zufällig Kenner aller rhetorischen Stilmittel ist – das allwissende Google befragen. Und wie zu erwarten, es klärte mich auch sofort und hinreichend auf: Oxymoron (Plural Oxymora) ist „…eine Formulierung aus zwei gegensätzlichen, einander widersprechenden oder sich gegenseitig ausschließenden Begriffen“, Phrasen oder Satzteilen. Und es wurden auch gleich ein paar Beispiele mitgeliefert: „Alter Knabe“, „dunkel war’s, der Mond schien helle“ oder „stummer Schrei“.
Aber warum erwähne ich das hier?
Weil mir bei der Lektüre eine Parallele zu meinen Themen in den Sinn kam, die ich sowohl in meinen Büchern als auch hier immer wieder anspreche: Die Erziehung verhaltensauffälliger Hunde und die Gründe ihres Scheiterns. Insbesondere sind es die Gründe ihres Scheiterns, die mich immer wieder aufs Neue reizen, zur „Feder“ zu greifen. Zwar nicht mit der Absicht – wie man mir einmal unterstellte –, Hundeschulen oder HundetrainerInnen diffamieren oder mich auf deren Kosten profilieren zu wollen. Nein, vielmehr aus einem Grund, mit dem ich alltäglich konfrontiert werde:
Ich werde nämlich nach wie vor nahezu ausschließlich von enttäuschten, resignierten oder gar verzweifelten HundehalterInnen kontaktiert und um Hilfe gebeten, deren vorherige Hilfeersuchen bei diversen Hundeschulen von keinem Erfolg gekrönt waren. Nicht etwa, weil ihre Ersuchen abgelehnt wurden. Im Gegenteil; ihnen allen wurde in Aussicht gestellt, bei ausreichend aufgebrachter Geduld und Ausdauer, das Problem lösen zu können. Jedoch scheiterten all diese gut bezahlten „Experimente“, die Delinquenten von ihrem störenden Verhalten zu befreien. Das heißt, all den HalterInnen wurde keine professionelle Hilfe zuteil, ihre vierbeinigen „Aggressoren“ oder „Rabauken“ zu erziehen. Und das, obwohl es sich bei allen Hundeschulen vermeintlich um solche handelt, die sich der Zulassung eines Amtstierarztes erfreuen.
Da ich mir in der Regel den Verlauf dieser erfolglosen Trainings schildern lasse, kommen mir mittlerweile zunehmend sogar Zweifel an der fachlichen Fundiertheit mancher Hundetrainerausbildungen. Ich weiß, dass ich mir mit dieser Einschätzung in den Fachkreisen kaum Freunde mache, wenn ich zu der Vermutung gelange, dass wahrscheinlich mit dieser Ausbildung grundsätzlich etwas schieflaufe. Denn nicht nur die fachlich fragwürdigen Methoden und Empfehlungen von HundetrainerInnen lassen mich zu diesem Schluss kommen, sondern ebenso ihre Kommentare und Kritiken auf meine Beiträge (von denen einige übrigens, wie meine Recherchen ergaben, stellvertretend von Strohmännern oder -Frauen geschrieben wurden, wahrscheinlich um sich selbst nicht offenbaren zu müssen).
Allein schon die Tatsache, dass seitens der HundetrainerInnen im Kontext einer erbetenen Erziehung (nicht Ausbildung!) Vokabularien wie Ausdauer und Geduld verwendet werden, regt zum Nachdenken an. Würden wir über die Ausbildung des Hundes reden, dann wäre ich sofort bei ihnen. Weil diese mit der Konditionierung identisch ist. Und die ist tatsächlich an Wiederholungen, und damit an einen gewissen Zeitbedarf, gebunden. Dann sollte man tatsächlich die HundehalterInnen auf ein mehr oder weniger geduldig zu ertragendes Prozedere einstimmen. Denn das Einüben und Beherrschen beispielsweise aller Grundkommandos benötigt nun mal Zeit. Und wenn man seinen Liebling auch noch zum Pfötchengeben oder Purzelbäume schlagen nötigen möchte, damit er sich zum Äffchen machen kann, heißt es nun mal, um mit Lenins Worten zu sprechen: Lernen, lernen und nochmals lernen.
Aber wir reden hier nicht von der Ausbildung, wenn es darum geht, einen „Aggressor“ oder „Rabauken“ von seinen „Macken“ zu befreien. Wir reden hier vielmehr ausschließlich von seiner Erziehung. Und die bedarf in der Regel keiner zeitraubenden Konditionierungsversuche.
In diesem Zusammenhang muss ich auch einem Hundetrainer aus Bad Kleinen widersprechen, der im Rahmen der Hundeerziehung von „Gewohnheiten ändern“ spricht, weshalb sie auch nicht – so wie ich behaupten würde – nur an einem Tag zu bewerkstelligen sei. Was oberflächlich hingehört sogar logisch klingt. Denn Gewohnheiten, so sie sich erst einmal eingeschliffen haben, besitzen die Eigenschaft, hartnäckig zu sein. Aber sind das, was in einer Erziehung beseitigt werden soll, tatsächlich Gewohnheiten?
Ich glaube, oder bin mir sogar sicher, wenn auch dieser Hundetrainer einen kurzen Moment innehält und darüber nachdenkt, wird auch er mir sicherlich Recht geben, dass es sich bei Aggressionen bzw. aggressiven Verhaltensweisen, die im Rahmen der Erziehung eine zentrale Rolle spielen und beseitigt werden sollen, mitnichten um Gewohnheiten handelt. Denn dann wären sie ja theoretisch das Ergebnis einer sogenannten erlernten Reiz-Verhalten-Belohnungs-Schleife. Gewohnheiten sind nämlich nichts anderes, als durch mehrere Wiederholungen, die jeweils mit Erfolg “belohnt” wurden, entstandene Routinen. Also typische Resultate von Konditionierungen.
Das trifft jedoch auf die Aggressionen bzw. aggressiven Verhaltensweisen schon deshalb nicht zu, weil diese vielmehr Bestandteile des psychologischen Dispositionsgefüges sind; also Veranlagungen, mit denen der Hund bereits auf die Welt gekommen ist. Richtigerweise spricht man deshalb im Falle der Aggressionen auch von Elementen des agonistischen Verhaltensrepertoires, zu dem auch das Schlichtungsverhalten oder Unterwerfen zählt. Sie sind bereits in seinem Genom verankert. Alle Aggressionen dienen ausschließlich der Befriedigung der Grundbedürfnisse. Situationsbedingt also der Befriedigung der Bedürfnisse nach Fortpflanzung, Stoffwechsel oder/und Sicherheit.
Anders ausgedrückt bedeutet das, dass zwischen Aggression und Bedürfnisbefriedigung ein kausaler Zusammenhang besteht. Das hat zur Folge, dass die Wirkung (in diesem Falle das aggressive Verhalten) sofort verschwindet, sowie die Ursache (in diesem Falle die Bedürfnisbefriedigung) nicht mehr existent ist. Der Zeitaufwand einer Erziehung ist demzufolge ausschließlich davon abhängig, wie lange ein Trainer benötigt, diese Kausalkette zu durchtrennen, indem er gemeinsam mit der Halterin/dem Halter dem Hund die Verantwortung für die Befriedigung seiner Bedürfnisse nimmt. Dem Hund also klar macht, dass Frauchen oder Herrchen ab sofort stets und zuverlässig für die Befriedigung seiner Bedürfnisse sorgen. Welches „Werkzeug“ (Trainingsmethode) er dazu verwendet, das ist in der Regel das Know-how des Hundetrainers.
Mein verwendetes Werkzeug jedenfalls ermutigt mich auch weiterhin zu dem Versprechen, jede sogenannte Verhaltensauffälligkeit – so sie keine neuropathologische Ursache hat – in einem einzigen Training beseitigen zu können. Nur eine Bedingung: Die anschließende Compliance (Therapietreue) der HundehalterIn.
Über diese Kausalkette von Aggressionen und Bedürfnisbefriedigung und der Tatsache, dass die aggressiven Verhaltensweisen keine Gewohnheiten sind, darf auch nicht hinwegtäuschen, dass aggressives Verhalten, wenn es stets zum Erfolg führt, vermeintlich die Bedingungen zur Erlangung einer Gewohnheit erfüllt (weil hier vermeintlich eine Reiz-Verhalten-Belohnungs-Schleife vorliege). Auch wenn der Laie landläufig sagen würde, der Hund hätte sich mittlerweile schon daran gewöhnt, durch sein aggressives Verhalten Erfolg zu haben, darf dies nicht verwechselt werden mit der wortstammgleichen Gewohnheit, die durch Wiederholungen zu einer Routine führt. Auch bei einem Hund, der beispielsweise sein Revier durch sein Gekläffe immer wieder erfolgreich vor allen Eindringlingen bewahrt, entwickelt sich dadurch keine Gewohnheit, die nur schwer und zeitaufwendig wieder „gelöscht“ werden könnte. Selbst er würde sofort und unmittelbar mit dem Gekläffe aufhören, sowie ihm die Verantwortung für das Revier und seine Sicherheit genommen werden würde, indem stattseiner Herrchen oder Frauchen diese übernehmen.
Übrigens, deshalb sollte auch ein Hundetrainer seine Wortwahl sehr exakt bedenken, um nicht selbst in seine von ihm eigenst aufgestellte kortikale Falle zu tapsen. Wenn er beispielsweise gedankenlos formuliert: „Na, das werden wir ihm schon abgewöhnen!“ Dann kann es nämlich sehr schnell passieren, dass er in dieser Falle sitzt, die ihn zu der falschen Vermutung kommen lässt, dass es sich bei dem rabaukenhaften Verhalten eines Delinquenten um eine Gewohnheit handelt. Denn die Vokabularien Gewohnheit und abgewöhnen passen so verlockend schön und einfach zusammen.
Aber zurück zu der von mir kritisierten Hundetrainerausbildung:
Wenn eine Hundetrainerin einer um Hilfe bittenden Kundin empfiehlt, ihren an der Leine zerrenden “Aggressor“ mittels Leckerli von seinem unerwünschten Verhalten abzubringen, ihn also durch Belohnung erziehen zu können, hat sie nicht nur die Kausalkette zwischen Aggressionen und Bedürfnisbefriedigung nicht verstanden, sondern noch nicht einmal den fundamentalen Unterschied zwischen der Ausbildung und der Erziehung des Hundes. Denn Erziehung mittels Belohnung wäre ein klassisches Oxymoron; also zwei Sachverhalte, die sich gegenseitig ausschließen. Man kann mit einem Leckerli einen Hund zwar konditionieren, also ausbilden; aber man kann mit einem Leckerli die Kausalkette zwischen Aggression und Bedürfnisbefriedigung nicht durchtrennen, weil man den Hund mit einem Würstchen nicht von seiner Verantwortung entbinden kann.
Und da dies offenbar ständige Praxis von Hundeschulen oder HundetrainerInnen ist – wie die Schilderungen meiner Klientel eindeutig belegen –, kommen mir arge Zweifel an der Seriosität unserer Hundetrainerausbildung. Selbst wenn solche Dinge wie die von mir erwähnte Kausalkette oder der Unterschied zwischen Ausbildung und Erziehung in der Hundetrainerausbildung thematisiert werden sollten, bleibt die Vermutung, dass die drei Grundprinzipien der Wissensvermittlung nicht beachtet werden, nämlich Klarheit, Verständlichkeit und Prägnanz.
83. DIE ERZIEHUNG AGGRESSIVER HUNDE
oder
Wenn man als Hundetrainer sogar in der Fachwelt aneckt
Kürzlich lud mich ein Journalist der Schweriner Volkszeitung zu einem Kurzporträt ein und beschrieb mich in seinem Artikel als das „komplette Gegenteil von Deutschlands bekanntestem Hundeprofi Martin Rütter“. Damit spielte er zwar anfänglich auf unsere äußerliche Erscheinung und unsere öffentliche Wahrnehmung an, denn ich bin nun mal nicht auf Bühnen und in Fernseh-Shows zu Hause, sondern auf der Straße. Aber er kam dann auch zu dem eigentlichen uns unterscheidenden Merkmal: Die Klientel, die wir jeweils betreuen.
Und das sollten meine Kritiker auch immer bedenken, wenn sie meine Fachartikel oder Beiträge, die ich im Netz veröffentliche, kritisieren. Ich gebe nun mal in keinen „Fernseh-Shows … auf amüsante Weise Tipps für den Umgang mit kläffenden Hunden“ – wie es der Journalist formuliert –, sondern muss mich auf meinen Touren durch Deutschland, Österreich und die Schweiz mit Tieren befassen, „die für die Halter zum Problem wurden“ – so der Journalist weiter. Und diese Problemfälle sind oftmals sehr ernster Natur und befinden sich unter Umständen schon im Fokus der Amtstierärzte.
Dabei geht es bei weitem nicht nur um das an der Leine zerrende Monster oder die alles und jeden verbellende Nervensäge. In den meisten Fällen handelt es sich vielmehr um Hunde mit einem hohen Aggressionspotential; und das nicht nur gegenüber ihren Artgenossen, sondern auch gegenüber Menschen. Nicht selten sind dabei Beißattacken mit teilweise schweren Folgen zu beklagen. Und besonders dramatisch sind die Fälle, wenn Kinder dabei die Opfer sind.
Bei ausnahmslos allen dieser Problemfälle handelt es sich um Hunde, denen keine Erziehung zuteilgeworden ist.
Man sollte doch eigentlich vermuten, wenn es in Deutschland weit über 2.000 eingetragene Hundeschulen gibt (die tatsächliche Anzahl dürfte noch weit höher liegen) und sie alle sich über gute Kundenzahlen freuen, dass dann unerzogene Hunde in der Öffentlichkeit die Ausnahme sein müssten. Aber weit gefehlt. Meine Alltagserfahrung belegt das genaue Gegenteil:
Die Mehrheit aller Haushunde ist definitiv nicht erzogen.
Sie haben zwar alle, wenn sie durch die Hände einer Hundeschule gegangen sind, in der Regel eine gute Ausbildung genossen; d.h. sie beherrschen das Hinsetzen und Platzen auf Kommando recht ordentlich. Sie können auch wunderbar Männchen machen, Purzelbäume schlagen oder sich an jedem Bordstein hinsetzen, bevor sie die Straße überqueren (wozu auch immer). Aber erzogen sind sie in den meisten Fällen nicht.
Warum scheitern so viele Hundeschulen daran, Hunde zu erziehen?
Die Kurzantwort lautet: Weil es gar nicht erst versucht wurde.
Die längere Antwort, die Sie auch in meinen beiden Büchern nachlesen können, in denen ich eine Erziehungsmethode aggressiver und gefährlicher Hunde beschrieben habe, lautet:
Nach wie vor wird der Unterschied zwischen Ausbildung und Erziehung der Hunde nicht beachtet oder wahrscheinlich gar nicht erst als solcher erkannt. Meine Vermutung ist sogar, dass in der Ausbildung von Hundetrainern dies entweder kein Thema ist oder zumindest nicht mit der Intensität behandelt wird, dass es eine nachhaltige Erkenntnis bei den Eleven hinterlassen würde. Zu dieser Vermutung muss ich zwangsläufig kommen, wenn ich die Kommentare lese, die auch von HundetrainerInnen (oder stellvertretend in ihrem Auftrag durch Strohmänner oder -frauen) auf meine Beiträge geschrieben werden; oder wenn ich die Aussagen sogar von namhaften HundetrainerInnen im Fernsehen höre. Eine Kundin machte mich beispielsweise darauf aufmerksam, dass sie beim „ergoogeln“ meines Namens sogar ein Forum entdeckt habe, in dem sich die fragwürdige Mühe gemacht werde, meine Beiträge, in denen ich den Unterschied zwischen Ausbildung und Erziehung thematisiere, mit haarsträubenden Behauptungen und fragwürdigen Unterstellungen zu widersprechen. Dabei werde noch nicht einmal der Versuch unternommen, meine Argumentationen mit sachlichen oder nachvollziehbaren Gegenargumenten zu widerlegen, sondern ausschließlich als falsch und unsinnig abgelehnt. Demnach wird der Unterschied zwischen der Ausbildung und der Erziehung des Hundes nicht nur nicht erkannt, sondern sogar willentlich nicht zur Kenntnis genommen oder gar verneint.
Warum ist das so?
Der momentane Trend in den verbalen Äußerungen von HundetrainerInnen zum Umgang mit Hunden ist unüberhörbar: „Seien Sie lieb zu Ihrem Hund“.
Alle Botschaften, die die Tierliebe und die Achtung vor der Kreatur Tier zum Inhalt haben, sind hoch in Mode. Solche Botschaften wie „Beziehung statt Erziehung“ oder, wenn schon der Begriff „Erziehung“ benutzt wird, dann nur in Verbindung mit solchen Begrifflichkeiten wie „positive Bestärkung“, sind stark im Trend beim Buhlen um jeden zahlenden Kunden. Vor dem Hintergrund solcher Szenarien wie Massentierhaltung und Tierquälerei in rumänischen Tierheimen lässt sich der Laie natürlich zu leicht mit wohlklingenden und seine tierliebende Seele schmeichelnde Äußerungen wie „Gewalt und Strenge in der Hundeerziehung lehne ich ab“ einlullen und in eine Hundeschule locken. Denn das schafft Vertrauen.
Das Ganze wird natürlich noch befördert dadurch, dass der Mensch durch seinen ihm wesenseigenen Anthropomorphismus (Vermenschlichung anderer Wesen und Gegenständen) ohnehin dazu neigt, in einem Hund ein kleines Kind zu sehen. Dadurch neigt das Unterbewusstsein dazu, empfänglich zu sein für alle Antagonismen von Strenge und Konsequenz.
Aussagen im Kontext der Hundeerziehung wie „konsequente oder energische Korrektur“ klingen deshalb natürlich unangenehm und oberflächlich hingehört abschreckend. Allein schon der Begriff „Erziehung“ ist negativ besetzt. Das klingt nach „Rohrstock“ und „Zuckerbrot und Peitsche“.
„Seien Sie lieb zu Ihrem Hund“ klingt in den Ohren des Kunden, der sich einen Hund als sozialen Ersatzpartner anschafft, logischerweise sehr viel verlockender. Das hat etwas von Gleichberechtigung und passt wunderbar in das verklärte Bild eines familientauglichen Sozialpartners, mit dem sich wunderbar kuscheln lässt.
Aber sieht die Realität aus Sicht des Hundes auch so aus?
Nein! Definitiv nicht! Der Hund ist nicht ein mit uns auf Augenhöhe agierender Partner. Er will es auch gar nicht sein. Dann hätte die über 30.000 Jahre andauernde Domestikation anders verlaufen müssen. Der Hund ist vielmehr ein uns dienen wollender Befehlsempfänger, der es seit Jahrtausenden gewohnt ist, mit uns auf die Jagd zu gehen und sich und uns zu beschützen und für unsere gemeinsame Sicherheit zu sorgen. Von dem sich dadurch bei ihm entwickelten Dispositionsgefüge weichen nur verhältnismäßig wenige Zuchtlinien ab. Aber ausnahmslos alle domestizierten Haushunde, die heute den HundebesitzerInnen Probleme wie zuvor beschrieben bereiten, haben die Veranlagungen zur Übernahme dieser Verantwortung. Ein Beweis dafür ist ihr Verhalten. Ansonsten würden sie sich nicht so verhalten wie sie sich verhalten. Alle vermeintlichen Verhaltensauffälligkeiten sind begründet in der Wahrnehmung ihrer Verantwortung für ihre eigene Sicherheit und die der ihnen anvertrauten Personen und Ressourcen.
Nicht nur, wer sich einen Rottweiler, Schäferhund oder Bullmastiff zulegt, sollte wissen, dass diese Hunde über einen Beschützerinstinkt verfügen. Auch viele andere Rassen – die zwar kuschelig anzuschauen sind – haben es in ihren Veranlagungen, selbstständig die Verantwortung für ihre Sicherheit und die Sicherheit aller ihnen anvertrauten Personen und Ressourcen zu übernehmen. Daraus ergibt sich auch, dass andere Hunde für sie immer Rivalen, Konkurrenten oder sogar Feinde sind. Hunde stören andere Hunde, solange sie diese Verantwortung tragen. Und alles, was sie dann aus dieser Verantwortung heraus tun, ist aus ihrer Sicht völlig normal. Nur der Mensch, der diese Kausalität zwischen Verantwortung und Beschützer-Verhalten nicht erkennt – oder wie ich gerade erwähnt habe, gar nicht erkennen will –, interpretiert es fälschlicherweise als Verhaltensauffälligkeit, die durch Konditionierung beseitigt werden könne. Letzteres ist aber ein Ding der Unmöglichkeit. Man kann keinen Hund von seiner Verantwortung entbinden, indem man ihm ein Leckerli vor die Nase hält oder sonst wie manipuliert oder dressiert. Damit lässt er sich zwar kurzfristig ablenken, aber nichts an seinem Dispositionsgefüge ändern.
Die Konsequenz daraus lautet: Wer sich ein mit diesen Veranlagungen ausgestattetes Tier anschafft, jedoch gar keinen Beschützer an seiner Seite wünscht, sondern einen familientauglichen Kuschelpartner, mit dem möglichst noch an vielen Hundetreffen teilgenommen werden soll, muss seinen Hund von der Verantwortung für beider Sicherheit entbinden.
Und das nennt sich „Erziehung“! Das hat aber mit einer Ausbildung, die durch Konditionierung mittels “süßer” Leckerli durchaus und erfolgreich funktioniert, nichts, rein gar nichts zu tun. Wie eine Erziehung stattdessen gelingt, zeige ich jedem Betroffenen gerne. Ein Anruf genügt. Denn ich bin – wie der Journalist auch beschrieben hat – zwei Wochen pro Monat in Deutschland, Österreich und der Schweiz auf Tour und deshalb meistens in Ihrer Nähe.
82. DER DOMESTIZIERTE HAUSHUND – EIN RUDELTIER?
oder
Warum schon Homers Epos Odyssee das Gegenteil vermuten lässt
Kürzlich wurde ich wiederholt gefragt, ob der Hund nun ein Rudeltier sei oder nicht. Der Anlass, mich mit dieser Frage zu konfrontieren, war jedoch nicht, wie ich in meiner Naivität annahm, pure Neugierde. Nein, es entpuppte sich eher als der Versuch, mir eine Art genetisch-anthropologisch begründete argumentatorische Schützenhilfe zu entlocken, ein schnödes Hundetreffen zu organisieren. Denn sollte der Hund die Veranlagungen eines Rudeltieres besitzen – so vermutlich des Fragestellers Fantasie – käme eine solche Veranstaltung schließlich des hündischen Wohlbefindens zugute. Und schon hätte er ein schlagkräftiges Argument zur Rechtfertigung seines fraglichen Vorhabens. Es fehlte offenbar nur noch die „Expertise“ eines vermeintlichen Fachmannes, um mit diesem moralischen Beistand ruhigen Gewissens alle erreichbaren HundehalterInnen im Umkreis dazu zu ermutigen, ihren Vierbeinern und sich selbst etwas ganz Besonderes zu gönnen und sich zu einem gemeinsamen Herrchen-Frauchen-Hunde-Wald-Spaziergang motivieren zu lassen. Je zahlreicher, desto besser, so sicherlich die Idee. Ob das Ganze auch noch durch abverlangte Abgaben zu einem lukrativen Geschäft gemacht werden sollte, konnte ich nicht mehr erfahren, denn dem Fragesteller schien plötzlich jegliches Interesse an der Fortsetzung einer Konversation abhandengekommen, nachdem er hatte meine Antwort vernommen.
Ich vermute übrigens, eine ähnlich gelagerte Absicht, Hunden etwas Gutes tun zu wollen, liegt allen Arten von gemeinsamen Hundeveranstaltungen zu Grunde. Ich vermute sogar, dass Hundeschulen bester Absichten sind, wenn sie ihre Kunden zum gemeinsamen Hundetraining einladen. Aber dient das alles tatsächlich dem, was man glaubt und vorgibt, nämlich einen artgerechten Umgang mit unserem besten Freund zum Zwecke seines Wohlbefindens?
Mit ein bisschen abendländisch-literarischer Phantasie könnte man annehmen, dass sogar schon Homer es vor mehr als 2.000 Jahren besser wusste. Denn schon er ließ Odysseus‘ Jagdhund Argos 20 Jahre lang im Palast von Ithaka auf sein Herrchen warten. Als dieser zurückkehrt, erkennt ihn sein treuer Freund; ist aber schon zu schwach, sich vom Misthaufen zu erheben, auf dem er, schon von Ungeziefer zerfressen, auf ihn wartete. Ihm blieb nur noch ein Wedeln mit dem Schwanz; senkte die Ohren und starb.
Da drängt sich doch die Frage auf: Hat es für dieses Tier in den 20 Jahren, in denen sein Herrchen mal kurz Troja befreite, keine einzige verlockende Gelegenheit gegeben, die ihn hätte verleiten können, seinen vermeintlichen Instinkten und Bedürfnissen nachzugeben, sich anderen seiner Artgenossen anzuschließen, um ein geselliges und sein Wohlbefinden steigerndes Rudelleben zu genießen? Stattdessen harrt er mutterseelenallein und auf solche Annehmlichkeiten verzichtend auf einem Haufen von Mist und Ungeziefer aus, nur um auf sein Herrchen zu warten?
Die genetischen Informationen des Haushundes sind verschlüsselt in seinem Genom in geschätzten über 19.000 Genen. Ob darin heute noch die Veranlagungen auszumachen sind und der Haushund heute noch über das entsprechende Dispositionsgefüge verfügt, ein Rudel und die es charakterisierende Strukturen bilden zu wollen, kann ich nicht fundiert beantworten. Dazu müssten idealerweise ein Anthropologe und Genetiker die Antwort liefern; was sie meines Wissens aber mangels zweifelsfreier Untersuchungsergebnisse kaum können.
Was ich aber durch meine Beobachtungen eindeutig belegen kann, ist, dass ein domestizierter Haushund kein Verhalten mehr zeigt, welches darauf schließen ließe, dass er noch das Bedürfnis zur Rudelbildung hätte. Ganz im Gegenteil.
Der domestizierte Haushund ist schon insofern kein Rudeltier (mehr), da ihm durch seine Domestikation die evolutionsbiologischen Gründe für eine solche Lebensform quasi „abhandengekommen“ sind. Der Vorteil im Überlebenskampf, den die verhaltensbiologische Lebensform eines Rudels zur Befriedigung der Grundbedürfnisse nach Stoffwechsel, Fortpflanzung und Sicherheit dem Wolf in freier Wildbahn bietet, spielt im Überlebenskampf des Haushundes keinerlei Rolle mehr. Diese Funktion hat vollständig die Form des „monogamen“ Zusammenlebens mit dem Menschen übernommen.
Daraus lässt sich natürlich nicht schließen, dass er nicht in der Lage wäre, in einer rudelähnlichen Gemeinschaft (so sie so überhaupt noch bezeichnet werden kann) zusammenleben kann, wenn es die Umstände erforderlich machen und er mehr oder weniger dazu gezwungen ist. Solche Beispiele findet man insbesondere bei verwilderten Hunden, von denen ich hier aber nicht spreche. Ebenso ist er sehr gut in der Lage, erfolgreich in einer menschlichen Familie mit mehreren anderen Hunden zusammenzuleben. Ob Letzteres aber seinem Bedürfnis entspricht, bleibt die Frage. Denn bezogen auf die Befriedigung seiner Bedürfnisse nach Futtermaximierung und Aufmerksamkeit bzw. Zuwendung durch die Bezugsperson stellt ein Zusammenleben mit anderen seiner Art zumindest keinen Vorteil für ihn dar.
Es gibt eigentlich nur zwei Gründe, warum ein domestizierter Haushund – so wie wir ihn heute typischerweise in den Haushalten der modernen westlichen Wohlstandsgesellschaft antreffen – eigeninitiativ Kontakt zu fremden Hunden aufnimmt oder aufnehmen will:
Der erste findet sich in seinem Grundbedürfnis, seine Gene weiterzuverbreiten. Da Rüden in der Regel ca. ab dem 14. Lebensmonat ganzjährig deckbereit sind; Hündinnen jedoch nur alle fünf bis neun Monate (sie gehören zu den sogenannten saisonal diöstrischen Tieren) müssten die Organisatoren von Hundetreffen demzufolge in ihrer Planung derselben höchst akribisch vorgehen, um das Treffen zu einem „vollen Erfolg“ werden zu lassen. Aber Scherz beiseite; ich glaube kaum, dass die Reproduktion der hündischen Teilnehmer das angestrebte Ziel und der ausgedachte Grund eines organisierten Hundetreffens sein könnte.
Der zweite Grund resultiert aus dem Grundbedürfnis des Hundes nach Sicherheit. Denn wenn er keinen Sex will, dient die Kontaktaufnahme zu einem ihm fremden Hund ausschließlich nur noch der Befriedigung seines Aufklärungsinteresses an den möglichen Absichten des anderen. Denn diese könnten möglicherweise eine Gefahr darstellen, nicht nur für sich selbst, sondern auch für seine und seinem Schutz anvertrauten Personen oder Ressourcen. Woraus sich wiederum die Frage nach der vermeintlichen Absicht der Organisatoren eines gemeinsamen Hundetreffens ergibt: Sollen hier etwa die Fähigkeiten der teilnehmenden Hunde zur Aufklärung und Selbstverteidigung trainiert werden? Ich denke, der gesunde Menschenverstand spricht auch hier dagegen.
Hinzu kommt, dass das Aufklärungsinteresse an den Absichten der anderen nur dann existiert, wenn der Hund nicht zuvor im Rahmen seiner intraspezifischen Sozialisation (gleichbedeutend mit seiner Erziehung) von der Verantwortung für seine Sicherheit und die der ihm anvertrauten Personen und Ressourcen entbunden wurde. Das heißt also, wenn der Hund in den Genuss einer solchen Erziehung gekommen ist, in dessen Ergebnis er jegliches Interesse (außer dem sexuellen) an anderen Hunden verloren hat und sie deshalb sogar ignoriert, macht ein organisiertes Hundetreffen doch erst recht keinen Sinn. Denn wozu sollte man ein Treffen von hündischen Individuen organisieren, wenn diese Individuen gar kein Interesse an einem Zusammentreffen haben?
Aber selbst dann, wenn die Hunde zuvor nicht erzogen wurden – sie also nicht von ihrer Verantwortung entbunden wurden – wäre ein Hundetreffen nicht nur erst recht sinnlos, sondern sogar absurd. Denn dann haben wir das Worst-Case-Szenario, also den schlimmsten aller denkbaren Fälle. Wenn die Hunde nicht erzogen (sprich intraspezifisch sozialisiert) wurden, sie demzufolge sich noch in der Verantwortung sehen, sich und Frauchen oder Herrchen vor allen Gefahren dieser Welt zu bewahren, bedeutet das Aufeinandertreffen mit Fremden ihrer Spezies nichts anderes als die Konfrontation mit lauter Konkurrenten, Rivalen oder sogar Feinden. Mit anderen Worten: Purer Stress! Auch hier erübrigt sich wohl die Frage, ob man so etwas seinem besten und treuesten Freund antun will.
Folglich zwängt sich geradezu die grundsätzliche Frage auf: Wenn “man” das alles weiß, warum werden dann trotzdem immer wieder Hundetreffen organisiert und laden Hundeschulen zu gerne Ihre Kunden zu gemeinsamen Trainings statt zum Einzelunterricht ein? Könnte es vielleicht sein, dass “man” es gar nicht weiß?
Die Antwort könnte – wie auf so viele Fragen zu den Konflikten im Zusammenleben von Mensch und Hund – der Anthropomorphismus (Vermenschlichung des Hundes) liefern. Denn da der Mensch aus dem Herstellen immer neuer Kontakte zu fremden Menschen evolutionsbiologisch einen Vorteil im Überlebenskampf generieren konnte und sich selbst deshalb in Gegenwart anderer Menschen wohl fühlt und sich nach neuen Kontakten geradezu sehnt, glaubt er, gleiches träfe auch auf den Hund zu. Er dichtet im Rahmen des Anthropomorphisierens dem Hund quasi das gleiche Verlangen an, wie er selbst es hat. Jedoch ein solches Bedürfnis hat der Mensch seinem Lieblingstier über mehr als 30.000 Jahre geradezu hinwegdomestiziert. Im Ergebnis dessen benötigt es weder zur Entwicklung seiner Kompetenzen noch für sein Überleben und schon gar nicht zu seinem Wohlbefinden (außer zum Zwecke der Reproduktion) den Kontakt zu einem anderen Hund.
Somit ließe sich nur eine einzige Rechtfertigung für gemeinsame Hundeveranstaltungen herleiten: Herrchen oder Frauchen wollen ihr Bedürfnis an sozialen zwischenmenschlichen Kontakten befriedigen, koste es was es wolle.
Ich habe dieses Thema ausführlich in meinen beiden Büchern erläutert und beschrieben, welche Konsequenzen das Zusammentreffen fremder Hunde für den einzelnen Hund haben kann.
81. DER PYGMALION-EFFEKT
oder
Warum steht manchmal in meinen Texten, was da gar nicht steht?
Ich habe schon einige Male verlauten lassen, dass ich mich grundsätzlich über jeden Diskussionsbeitrag und jeden Kommentar, insbesondere auch kontroverse, freue, die jemand als Reaktion auf meine Fachbeiträge schreibt. Dazu bedarf es nur zweier Bedingungen: Sie sollten sachlich formuliert sein und den ernsthaften Willen nicht vermissen lassen, konstruktiv an einer Wahrheitsfindung teilhaben zu wollen. Meine Erkenntnisse, die ich hier zur Diskussion stelle, will ich bekanntlich nicht als alleingültige Wahrheit oder gar Dogma verstanden wissen, sondern als Beitrag zur Falsifikation bestehender Theorien der Hundeerziehung; zu der sich im Übrigen jeder verpflichtet sehen sollte, der eine Theorie, Hypothese oder gar nur eine These formuliert oder vertritt. Der Verhaltensforscher Konrad Zacharias Lorenz hat es einmal treffend formuliert:
“Die meisten von uns – dessen müssen wir uns bewusst sein – lieben ihre Hypothesen, und es ist, wie ich einmal sagte, eine zwar schmerzhafte, aber jung und gesund erhaltende Turnübung, täglich, gewissermaßen als Frühsport, seine Lieblingshypothese über Bord zu werfen.”
Da auch ich mir dieses Problems bewusst bin, seinen eigenen Hypothesen gegenüber zu schnell den kritischen Blick zu verlieren, denn sie sind meistens das Ergebnis langjährigen Bemühens, die man nicht so gerne bereit ist, über den Haufen zu werfen, bin ich dankbar für jeden Diskussionsbeitrag, der mich zwingt, mich immer wieder aufs Neue mit ihnen auseinanderzusetzen und ihre Gültigkeit zu hinterfragen.
Aber es gibt noch weitere Gründe, warum ich kontroverse Diskussionsbeiträge begrüße: Sie sind nicht selten Quelle neuer Themen, auf die ich dann in meinen Beiträgen eingehen kann. Und sie sind für mich auch ein wichtiger Indikator, ob ich mich verständlich oder eventuell missverständlich ausgedrückt habe.
Zu dieser Kategorie von Kommentaren zählt auch eine besondere Art von Widerreden. Nämlich solche, die vorgeben, einer von mir getroffenen Aussage zu widersprechen, obwohl ich eine solche Aussage gar nicht getroffen habe; oder wenn der Autor/die Autorin meint, mir zu widersprechen, tatsächlich ihr Widerspruch aber exakt meiner Darstellung entspricht.
Mein Vater, der meine Beiträge lektoriert und somit regen Anteil nimmt, amüsiert sich nicht nur über solche Beiträge, sondern „sammelt“ sie regelrecht. Er hat über viele Jahre Seminare und Schulungen in Luftfahrtunternehmen geleitet, bei denen es um die Ursachenklärung menschlichen Versagens oder Fehlverhaltens geht. Und eines der Themen, das dabei behandelt wird, ist die Fehleranfälligkeit menschlicher Wahrnehmung, um auf der Grundlage ihrer Analyse Fehlervermeidungsstrategien zu entwickeln. Und so konnte er auch folgendes Beispiel in seine „Sammlung“ aufnehmen:
Auf einen meiner letzten Artikel, in denen ich wie schon des Öfteren den Grundtenor vertrete, dass mittels einer Belohnung keine Erziehung möglich sei, sondern lediglich eine Konditionierung, schrieb ein Herr H. F.:
Zitat: „Die Behauptung, mit Belohnung sei keine Verhaltensänderung zu erzielen, ist wissenschaftlich widerlegt. Mittels Belohnung lassen (sich) Konditionierungen erzielen, die medizinisch nachweisbare Veränderungen im Gehirn erzeugen…“
Bevor ich dazu Stellung nehme und meine zuvor beschriebene Vermutung belege, will ich eine Bemerkung meines Vaters vorausschicken:
Und zwar sei das Phänomen des Hineininterpretierens in eine Wahrnehmung gar nicht so selten und werde deshalb sogar explizit in einem Forschungszweig namens „social perception“ (soziale Wahrnehmung) thematisiert. Dieser untersuche, wie sich Erfahrungen, Bedürfnisse und auch Erwartungen auf die sinnliche Wahrnehmung auswirken würden. Am Beginn stünde der Reiz oder die Reizaufnahme und am Ende das Sinnerlebnis. Dazwischen würden subjektive Elemente – beispielsweise die Erwartung – das Resultat beeinflussen und oftmals zu seiner Verfälschung führen. Da das Gehirn ununterbrochen Vorausberechnungen zum weiteren Geschehen anstelle, produziere es quasi auch ständig neue Erwartungen zu dem, was gleich geschehen werde. Wenn dann das reale Geschehen eintrete und beides stimme nicht überein, komme es nicht selten zu dem Phänomen, dass die kognitiven Prozesse uns einen Streich spielen und das reale Geschehen dem erwarteten anpasse.
Mit anderen Worten, wenn jemand erwarte, dass etwas so und nicht anders geschehe, neige er dazu, in ein von seiner Erwartung abweichendes Geschehen seine Erwartung hineinzuinterpretieren.
Mein Vater nennt dazu ein Beispiel aus der Luftfahrt. Piloten würden beispielsweise das Problem der Routinen sehr ernst nehmen. Sie bezeichnen sie als Fluch und Segen zugleich. Sie entlasten zwar einerseits das Gehirn, indem es den Routinehandlungen keine Aufmerksamkeit mehr widmen muss; andererseits bergen sie aber genau durch diese mangelnde Aufmerksamkeit auch erhebliche Gefahren. Wenn beispielsweise der Pilot die Fahrwerkshebel betätige, überprüfe er anschließend anhand der danach aufleuchtenden Lämpchen (in der Regel derer drei; eines fürs Bugfahrwerk und zwei für die Hauptfahrwerke), ob das Fahrwerk auch tatsächlich das „getan“ habe, was es „tun“ sollte. Wenn dieses Prozedere nun hunderte oder tausende Male auch so abgelaufen sei wie erwartet, das Fahrwerk also korrekt ausgefahren sei und die Lämpchen dies auch durch ihr Leuchten bestätigt hätten, entwickle der Pilot eine kongruente Erwartungshaltung, die dazu führen könne, dass er die drei Lämpchen sogar leuchten sehe, obwohl vielleicht eines gar nicht leuchte. Und so man ihn hinterher noch fragen könnte, würde er mit Stein und Bein schwören, alle drei Lämpchen leuchten gesehen zu haben.
Auch Goethe hat dieses Phänomen schon gekannt und in seinem Faust Mephisto in der Hexenküche sagen lassen: „Du siehst mit diesem Trank im Leibe, Bald Helenen in jedem Weibe.“ Das heißt, die Erwartungshypothese überlagert alternative Hypothesen.
Auch die Pädagogik kennt das Problem. Hier nennt es sich „Pygmalion-Effekt“. Der Künstler Pygmalion von Zypern erschuf eine Elfenbeinstatue, in die er sich schließlich verliebte. Am Festtag der Venus flehte er die Göttin der Liebe an, sie möge seine künftige Frau so sein lassen wie die von ihm erschaffene Statue. Als er nach Hause zurückkehrt und die Statue wie üblich zu liebkosen begann, erwachte diese tatsächlich langsam zum Leben.
Manchmal wird dieser Effekt auch als „selbsterfüllende Prophezeiung“ bezeichnet. Eine Eigenschaft, die man einer fremden und unbekannten Person andichtet, scheint sich später in der Wahrnehmung durch andere, die sie gar nicht kannten, tatsächlich zu bestätigen.
Und etwas ähnliches scheint sich auch, zumindest manchmal, in der Wahrnehmung meiner LeserInnen abzuspielen. Denn auch Sie lesen meine Beiträge nicht ohne Vorkenntnisse, die Sie sich aus unterschiedlichsten Quellen zuvor schon haben angeeignet. Daraus entwickeln Sie, ob Sie dies nun wollen oder nicht, determinierte Vorstellungen von dem, was Sie glauben, in meinen Beiträgen zu lesen werden. So wahrscheinlich auch im Falle des Herrn H.F.:
Er unterstellt mir nämlich in seinem Kommentar, dass ich behauptet hätte, dass mittels der Belohnung keine Verhaltensänderung zu erzielen sei. Wahrscheinlich, weil er erwartet hat, dass ich annehme, eine Konditionierung bewirke keine neuronalen Veränderungen, die sich auf ein verändertes Verhalten auswirken. Eine solche Behauptung habe ich aber nie und nimmer getroffen. Vielmehr war meine Kernaussage lediglich, dass eine Erziehung durch eine Belohnung nicht möglich sei, weil eine Belohnung nur eine Konditionierung bewirken könne.
Aber vielleicht verschaffte auch schon der Begriff Verhaltensänderung, den ich in meinen Texten wahrscheinlich nur im Kontext der Erziehung verwendet habe, eine falsche Erwartung. Wenn man nämlich eine erfolgreiche Konditionierung ebenso mit einer Verhaltensänderung, beispielsweise in Form des Ausführens eines Kommandos, welches der Hund zuvor nicht befolgt hat, gleichsetzt (was ich bei Herrn H. F. unterstelle) oder sie damit assoziiert und ich dies nicht explizit betont habe, könnte man die Erwartung generieren, ich setze das Ergebnis einer Konditionierung nicht mit einer Verhaltensänderung gleich. Das ist aber nicht meine Intension. Hier würde ich Herrn H. F. selbstverständlich zustimmen: Im gewissen Sinne ist das Ergebnis einer Konditionierung demzufolge auch ein geändertes Verhaltensmuster.
Aber ein solches Verändern im Verhalten des Hundes ist in meinem Kontext, wo es um das Unterlassen von unerwünschten oder sogar gefährlichen Verhaltensweisen geht, nicht gemeint.
Nochmal zur Erklärung meiner Aussage: Die Erziehung zielt – laut Definition – auf eine Veränderung des Dispositionsgefüges (Veranlagungen, Instinkte, Bedürfnisse) ab. Konditionierungen können dies nicht oder nur sehr langfristig (beispielsweise durch epigenetische Veränderungen, indem über einen relativ langen Zeitraum Umwelteinflüsse ihre Wirkung entfalten). Da aber alle sogenannten Verhaltensauffälligkeiten wie beispielsweise das Zerren an der Leine (zum Zwecke des Aufklärens), das Verbellen (Fernhalten von Gefahren) oder alle Arten von Aggressionen (außer Jagen) bis hin zu Beißattacken in der Befriedigung des Bedürfnisses des Hundes nach Sicherheit begründet sind – was Bestandteil seines Dispositionsgefüges ist –, bedarf eine Veränderung solcher Verhaltensweisen zwingend der Erziehung und nicht der Konditionierung.
Denn die Konditionierung ist etwas anderes. Sie bezweckt nicht die Veränderung, sondern im Gegenteil, sie nutzt das vorhandene Dispositionsgefüge (beispielsweise das Bedürfnis nach Nahrung) aus, um ihn mittels eines bestimmten Reizes (beispielsweise Belohnung durch ein Leckerli) zu einem bestimmten Verhalten (Reaktion) zu bewegen und durch häufiges Wiederholen ein Reiz-Reaktionsmuster im Gehirn neu zu verankern. Typische Beispiele sind alle Kommandos oder Tricks, die dem Hund beigebracht werden können. Denn für eine Belohnung (Reiz) macht (Reaktion) ein Hund beinahe alles (siehe Dressur).
Mit anderen Worten:
Die Erziehung bezweckt das Unterlassen von instinktiv determiniertem Verhalten des Hundes; also eines Verhaltens, welches er instinktiv aufgrund seines Dispositionsgefüges (Bedürfnis nach Sicherheit) von Natur aus an den Tag legt. In Bezug auf die oben genannten unerwünschten Verhaltensweisen bedarf es somit zwingend der Einflussnahme auf sein Bedürfnis nach Sicherheit, indem der Mensch (Herrchen oder Frauchen) an seiner statt ab sofort die Verantwortung dafür übernimmt, so dass ihm das Motiv für sein Verhalten quasi „abhandenkommt“.
Die Ausbildung hingegen bezweckt genau das Gegenteil, indem durch Konditionierung dem Hund etwas beigebracht wird, wofür ihm die natürlichen Instinkte fehlen. Kein Hund auf dieser Welt würde von Natur aus seinem Herrchen die Zeitung aus dem Briefkasten holen oder sich an der Bordsteinkante hinsetzen.
80. „KRISTALLKLARE FÜHRUNG STATT BESTECHUNG MIT ‘NER BRATWURST“
oder
Warum muss das erst ein Kriminalromanautor verkünden?
Hin und wieder sprechen mich KundInnen auf meine Fachbeiträge an und fragen auch schon mal, was eigentlich der Anlass für mein Schreiben bzw. was mein Motiv sei, solche Beiträge zu veröffentlichen?
Ich gebe dann immer zwei Gründe an, die mich seinerzeit motiviert haben, und dies bis heute tun, mein Wissen kundzutun:
Zum einen waren es die in der Vergangenheit auffallend zunehmenden Fälle, in denen mich enttäuschte und nicht selten nahezu verzweifelte HundehalterInnen ansprachen (manchmal nannten sie es sogar ihren letzten Versuch, den sie noch wagen wollten), mit der Bitte, ihnen vielleicht doch noch helfen zu können, ihren Hund von seinen „Macken“ zu befreien. Mit letzteren meinten sie alle unerwünschten und störenden Verhaltensweisen ihrer Lieblinge wie beispielsweise das Zerren an der Leine; Verbellen aller Wesen und Objekte, die sich ihnen näherten; Jagen und alle Arten von Aggressionen bis hin zu Beißattackten gegenüber Mensch und Tier. Es ging also nicht darum, dass ihre Vierbeiner irgendein Kommando wie Sitz, Platz & Co. nicht befolgten. Vielmehr beklagten sie, dass ein gemeinsames entspannten Zusammenleben nahezu unmöglich sei. Und alle diese HundehalterInnen hatten zuvor nicht nur einen, sondern eine ganze Reihe von erfolglosen Hundeschulbesuchen hinter sich gebracht.
Und zum anderen motivierte mich in diesem Kontext natürlich, die Ursachen des Scheiterns zu analysieren und zu erklären, warum so viele Hundeschulen bei der Erziehung sogenannterverhaltensauffälliger Hunde keinen Erfolg haben (mit dem Adjektiv sogenannter will ich andeuten, dass es sich in der Regel – außer in pathologisch bedingten Fällen – nicht um echte Verhaltensauffälligkeiten handelt, sondern in Wirklichkeit um ein völlig natürliches Verhalten, welches allerdings durch die Neigung des Menschen zum Anthropomorphisieren falsch interpretiert oder die sie auslösende Ursache nicht wirklich erkannt wird). Dazu habe ich mir in der Regel von den HalterInnen die Inhalte und Methoden der von ihnen besuchten Trainings schildern lassen; auch um zunächst herauszufinden, ob das Scheitern tatsächlich in den gemachten Fehlern der Hundeschulen zu suchen ist oder sich nicht eher in einer mangelnden Compliance der HalterInnen wiederfindet. Jedoch in fast allen Fällen musste ich zu dem Schluss kommen, dass nicht die mangelnde Therapietreue von Frauchen oder Herrchen die Crux war, sondern tatsächlich die mangelhafte fachliche Kompetenz der TrainerInnen.
Somit sah ich mich motiviert, all diesen enttäuschten und verzweifelten Menschen nicht nur eine Stimme zu geben, sondern auch die Ursachen ihres Schicksals zu benennen und eine Lösung zu beschreiben, wie Hunde, die bisher nicht in einen solchen Genuss gekommen sind, relativ schnell und unkompliziert erzogen werden können.
Ich habe in zwei Büchern nicht nur die Grundsätze meines Trainingsansatzes beschrieben, sondern auch – unter Bezugnahme sowohl auf wissenschaftlich als auch empirisch gewonnene Erkenntnisse – versucht nachzuweisen, dass einige theoretische Ansätze der Hundeerziehung, die heute zu gerne als modern deklariert werden, aus meiner Sicht schlichtweg falsch und zum Scheitern verurteilt sind.
Eine der wesentlichen Irrtümer besteht heute nämlich darin, einen Erziehungssachverhalt mit einem Ausbildungssachverhalt zu verwechseln oder deren Unterschied nicht zu realisieren, wodurch es dann geradezu zwangsläufig zur Wahl eines falschen Mittels kommt. So wird beispielsweise sehr häufig der zweifelhafte Versuch unternommen, einen Hund mit Hilfe eines zu seiner Erziehung ungeeigneten Mittels der Ausbildung sozialisieren zu wollen. Ausbildung und Erziehung bzw. Sozialisierung sind jedoch zwei völlig verschiedene Dinge, die auch die Anwendung völlig verschiedener Methoden des Trainings erfordert. Befördert wird diese Misere dadurch, dass mit dem angewendeten Mittel (in der Regel das der Konditionierung) in der Ausbildung sogar sehr gute Ergebnisse erzielt werden und diese Erfolge dazu verleiten, gleiches auch in der Erziehung tun zu können. Wenn dann durch die HundetrainerInnen das Erziehungsproblem nicht als ein solches erkannt und stattdessen als ein Ausbildungsproblem fehldiagnostiziert wird, kommt es zwangsläufig zur Wahl des falschen Mittels. Denn wie sagt man so treffend? Wer nur einen Hammer besitzt, neigt dazu, in jedem Problem einen Nagel zu sehen.
Die Leidtragenden sind nicht nur die verzweifelten HundehalterInnen, die diesen Irrtum nicht nur mit einem erheblichen und unnützen finanziellen Aufwand bezahlen, sondern ebenso die gestressten Hunde. Denn sie werden durch diesen Dilettantismus in erhebliche Konflikte gebracht, die sich nicht selten in pathologischen Befunden manifestieren; beispielsweise in Haut- und Fellproblemen.
Bedauerlicherweise werden falsche oder zumindest fragwürdige Theorien und Trainingsmethoden oftmals als Axiome maskiert, so dass der Laie zwangsläufig dazu neigt, von ihrer unzweifelhaften Richtigkeit auszugehen. Hinzu kommt, dass sie, sollten sie sogar in der Ausbildung von HundetrainerInnen gelehrt werden, über einen ungeheuren Multiplikator verfügen und dadurch wiederum eine enorme Resistenz gegen Kritik bzw. Falsifikation entwickeln. Ich merke dies immer sofort in einem regelrechten Shitstorm an unsachlichen Kommentaren, den meine kritischen Fachbeiträge auslösen. In einigen Fällen konnte ich sogar nachweisen, dass die VerfasserInnen solcher meistens ohne ein einziges vernünftiges Gegenargument formulierten Kommentare stellvertretend und im Auftrag von betroffenen Hundeschulen ihren Frust ablassen, weil letztere sich offensichtlich nicht zu erkennen geben wollen. Und nicht zu vergessen ist der manifestierende Effekt des ständigen Wiederholens falscher Maxime. Wenn beispielsweise immer und immer wieder das Mittel der Konditionierung als eine Art Allzweckwaffe litaniert wird – wenn auch in einem immer mal wieder neuen Kleid mit sehr markigen und einprägsamen Begrifflichkeiten (Stichwort Anker- oder Markertraining) –, bleibt die Entwicklung eines kritischen Geistes, der eigentlich zur Falsifikation jeglicher Theorien verpflichtet, auf der Strecke. Gerade der Trick mit der Wahl markiger Begrifflichkeiten für etwas, was im Grunde genommen schlicht oder gar unsinnig ist, wird zu gerne angewendet, um dem Ganzen eine gewisse Bedeutsamkeit oder Wichtigkeit zu verleihen; auch um jeglichen Zweifel an der Richtigkeit schon im Keim zu ersticken. Da trifft man schon mal auf sehr irrwitzige Formulierungskünste wie beispielsweise: „Der doppelte Rückruf unter Verwendung eines im zweiten Rückruf enthaltenen Ankers.“ Bei näherer Betrachtung entpuppt sich der sogenannte Anker jedoch als schnödes Leckerli, was dem “Azubi” vor die Nase gehalten wird.
Aber man kann das Ding drehen wie man will: Die Erziehung, die, wie die korrekte Definition lautet, eine Veränderung des Dispositionsgefüges des Edukanden ist, also die verändernde Einflussnahme auf die Veranlagungen eines zu Erziehenden, bedarf nun mal anderer Methoden als die der Konditionierung wie sie für die Ausbildung typisch und auch angebracht sind. Denn ein Dispositionsgefüge nachhaltig verändern zu wollen, bedarf der Veränderung der Motive. Beim Menschen bedient man sich u.a. der verbalen Argumentation, um eine Veränderung der Einstellungen mit dem Ergebnis der Einsicht des Edukanden zu erreichen. Beim Tier funktioniert dies bekanntlich aufgrund des Fehlens der Sprache nicht. Hier muss man den Umweg über die Manipulation der Bedürfnisse gehen. Dabei spielt jenes nach Sicherheit die entscheidende Rolle. Und da alle, ausnahmslos alle, sogenannten Verhaltensauffälligkeiten (mit Einschränkungen des Jagens) in seinem Bedürfnis zur Befriedigung seiner Sicherheit bzw. die von Frauchen oder einer Ressource, die ihm anvertraut wurde, begründet ist, muss man einen Hund, der erzogen werden soll, von seiner Verantwortung für diese Sicherheit entbinden. Nichts anderes ist seine Erziehung. Das gelingt freilich nicht, indem man ihm ein Leckerli verspricht. Letzteres würde ihn vielleicht, wenn es in seiner Verlockung stark genug sein sollte und den Reiz zur Befriedigung seines Sicherheitsbedürfnisses tatsächlich überlagert, temporär erfolgreich ablenken. Bekanntlich riskiert ein Hund für Nahrung sogar Kopf und Kragen; aber nachhaltig umerziehen wird man einen Hund mit einem Ablenkungsmanöver, und sollte man es noch so oft repetieren, nie und nimmer.
Umso verwunderlicher ist es dann, wenn sogar vermeintliche Laien das offensichtlich Falsche an solchen Standardtheorien erkennen. So las kürzlich meine Frau, getreu Bill Ramseys „Ohne Krimi geht die Mimi nie ins Bett“, neben mir liegend einen Kriminalroman von Michael Frey und fing plötzlich an, schallend zu lachen. Provoziert wahrscheinlich durch meine trottelige Verdutztheit steigerte sich ihr Lachen noch, bis endlich sie mir, wieder zu Luft gekommen, nahelegen konnte, mir unbedingt das Vergnügen zu gönnen, einmal dieses Buch zu lesen, denn der Autor beschreibe genau das, was ich in meinen Artikeln an den zum Scheitern verurteilten Methoden des Hundetrainings immer zu kritisieren versuche. Auf meine Frage, ob der Autor denn Hundetrainer oder sonst wie qualifiziert sei, antwortete sie mit einem „nur bedingt“; er sei zwar laut seiner auf dem Cover zu lesenden Biografie Besitzer zweier Hunde, aber beruflich als Werbetexter tätig. Was die Sache für mich umso reizvoller machte. Denn wenn schon ein schreibender Laie das Falsche erkennt, warum dann nicht all die vielen vermeintlichen Fachleute? Und dann las mir meine Frau zu meinem Vergnügen, quasi als Beleg, einen Passus vor, in dem der Autor einen Hundetrainer namens Wolf zu Worte kommen lässt (das spätere Mordopfer, das offensichtlich nicht nur ein überheblicher Macho zu seien scheint, sondern offensichtlich auch allerhand Dreck am Stecken hat und deshalb von einem auf ihn angesetzten Privatdetektiv namens Hartmann mit samt eines vom Tierheim für seine Legende geborgten Hundes, der einige rüpelhafte Angewohnheiten besitzt, aufgesucht wird, um zum Schein Hilfe bei der Erziehung desselben zu erbeten) und der, wie man gleich hören wird, nicht nur einen rauen Ton an den Tag legt, sondern gerne von sich selbst auch mal in der dritten Person zu sprechen pflegt:
„‘Führung statt Mimimi ist unser Motto‘, dröhnte Wolf. ‚Führung ist das A und O in der Hundeerziehung. Wer nicht führt verliert. Der Alpha ist der Chef! Sie brauchen dieses gewisse Etwas, Herr Hartmann, sonst wird das nichts. Sonst macht der Hund den Molli mit Ihnen. Egal wie klein er ist. Ich habe schon Chihuahuas erlebt, die den Vorstand eines Dax-Konzerns fest im Griff hatten. Der schmiss problemlos einen Laden mit hunderttausend Mitarbeitern und wurde zu Hause jedes Mall von seiner Fußhupe ins Bein gebissen, wenn er an den Kühlschrank wollte. Wenn Sie kein Charisma haben, bringe ich es Ihnen bei. Körpersprache, sage ich nur. Sie können Ihrem Hund natürlich auch eine Bratwurst vor die Nase halten. Für Bratwurst machen Hunde alles. Die sind relativ einfach gestrickt, die Viecher. Aber hat man immer, wenn es heikel wird, eine Bratwurst in der Tasche, fragt der Wolf. Nein, sagt der Wolf…‘“
„…‘Aber um den Gedanken zu Ende zu bringen. Was macht man, wenn man eine Bratwurst braucht und keine hat? Eben. Nichts! Zero! Niente! Da kackt man ab. Direkt neben dem Hund kackt man da ab. Genau darum gibt es beim Wolf keine Erziehung durch Bestechung, kein Konditionieren durch Leckerchen und ähnlichen Unfug. Kristallklare Führung ist angesagt. Trauen Sie sich das zu?“‘
Wenn also schon ein vermeintlicher Laie – ohne seine sicherlich langjährigen Erfahrungen mit Hunden kleinzureden – es als Unfug thematisiert, einen unerzogenen Hund mittels Konditionierung durch Leckerchen von seinem rüpelhaften Verhalten abbringen zu wollen, frage ich mich, warum haben so viele Fachleute mit diesem Verständnis offensichtlich nach wie vor ihre Schwierigkeiten?
79. DIENT DAS MARKIEREN TATSÄCHLICH DEM WOHLBEFINDEN DES HUNDES?
oder
Der Irrtum von der artgerechten Haltung
Ich saß kürzlich mit meiner Frau und einem Sanddorn-Aperölchen in der Hand auf einer der mondänen Promenaden an unserer herrlichen Ostseeküste. Wir genossen den wunderschönen Sommerabend; unsere Hunde lagen tiefenentspannt in unserem Schatten; unsere Blicke gedankenverloren weit weg auf dem weiten Meer, was wollte die Seele mehr. Die Welt war quasi in Ordnung (wenigstens für uns und in diesem Moment).
Dachten wir jedenfalls; zumindest bis dahin. Denn nicht nur das Meer und die weißen Segel da draußen verführten magisch unsere Blicke; auch etwas ganz in unserer Nähe buhlte geradezu um Beachtung:
Die mit viel Mühe, Fleiß und Geschick angelegten bunt blühenden Blumenrabatte und in voller Farbenpracht leuchtenden Beete waren es, die unsere Bewunderung einforderten. Ein besonderer Hingucker waren zwei wunderschön anzuschauende Blumentürme, auch „flower tower“ genannt, wie uns ein am Nachbartisch sitzender Kenner aufzuklären wusste, die ihren nicht unerheblichen Gestaltungs- und Pflegeaufwand wahrlich nicht leugnen konnten.
Allerdings mit einem unschönen Makel, der dadurch ins Auge stach, dass er nur und ausschließlich an den unteren Blumenschönheiten, besser gesagt ehemaligen Schönheiten, seine Spuren hinterlassen hatte, und beim oberflächlichen Hinsehen eine mangelnde Pflege, sprich Wassermangel, vermuten ließ. Was aber verwunderlich schien, weil solche Kunstwerke, wie uns unser Kenner ebenso zu berichten vermochte, für gewöhnlich mit einer aufwendigen Bewässerung am Leben gehalten würden; und da das Wasser von oben nach unten zu fließen weiß, wäre eher zu vermuten gewesen, die Trockenheit fordere zuerst oben statt unten ihren Tribut. Aber bei näherer Betrachtung kamen wir zu dem Schluss, dass wir mit unserer ersten Expertise dem örtlichen Grünflächenamt und ihren fleißigen Händen gründlich Unrecht getan hätten. Zumal dessen MitarbeiterInnen bei einem gefühlten Jahrhundert-Sommer wie dem heurigen schier unmenschliches zu leisten scheinen.
Und es sollte auch nicht lange dauern, bis wir den wahren Grund, sprich Übeltäter, zu Gesicht bekamen: Canis lupus familiaris:
Bello, der sein sichtlich physisch bereits an seine Leistungsgrenze gekommenes und sich mit letzter Kraft ihm entgegenstemmendes Herrchen hinter sich her zerrte (das Bild erinnerte irgendwie an eine Traktor-Pulling Show), strebte mit einem fürchterlich anzuhörenden Röcheln – das Halsband drohte ihn quasi zu erwürgen – zielstrebig auf eine dieser „Flower-tower-Kunstwerke“ zu. Dort angekommen inhalierte er mit all seinen olfaktorischen Sinneszellen die bereits hundertfach hinterlassene Harnsäure nebst zu Ammoniak umgewandelter Duftmarken seiner Rivalen, hob von diesem Ort sofort besitzergreifend seinen Hinterlauf und gab wie selbstverständlich den verzweifelt ums Überleben kämpfenden floralen Ehemals-Schönheiten den vermeintlichen Todesstoß. Sein Herrchen ließ ihn, ebenso selbstverständlich – und sichtlich dankbar für diese Verschnaufpause – ausgiebig gewähren, ohne auch nur ein Fünkchen an Unrechtsempfinden zu offenbaren. Er hinterließ eher den Eindruck eines Sich-absolut-keine-Gedanken-darüber-machenden-Zeitgenossen.
Von diesem Geschehen in seiner demonstrativen Selbstverständlichkeit, als sei es das rechtmäßigste dieser Welt, seinen Hund gegen alles und überall hinpinkeln zu lassen, nahezu gelähmt und einer Reaktion unfähig, konnten wir dem obskuren Schauspiel nur kopfschüttelnd beiwohnen. Wahrscheinlich hätten unsere entgleisten Gesichtszüge jeder Verstehen-Sie-Spaß-Sendung zur Ehre gereicht.
Und es dauerte gefühlt nur wenige Augenblicke, bis Bello 2 mit nicht minderer Zielstrebigkeit – und seinen Besitzer in vergleichbarer Weise hinter sich her schleifend – an uns vorbei keuchte zu exakt gleicher Stelle, um all seinen Konkurrenten unmissverständlich deutlich zu machen, wer hier der Chef auf der Promenade ist. Und auch sein Herrchen ließ nicht nur geschehen, was dort geschah, als sei es unmöglich, dies zu unterbinden, sondern offenbarte zudem ein Selbstbewusstsein und eine zur Schau gestellte Selbstherrlichkeit, als wolle er der ganzen Welt demonstrieren: „Schaut her Ihr Unwissenden, das nenne ich artgerechte Haltung, koste es, was es wolle!“
Jedoch dann, als Protagonistenpärchen 3 die Bühne dieses unappetitlichen Schauspiels betrat, war unschwer ein bis dato noch nicht gezeigtes Herrchen-Verhalten zu beobachten. Zwar kam auch hier das Tier zu seinem ihm zu Unrecht angedichteten und zugestandenen Markierungsrecht, aber Herrchen offenbarte immerhin ein gewisses Unwohlsein verbunden mit dem Wunsch nach einer Am-liebsten-nicht-Dazugehörigkeit. Mit einem völlig missglückten Versuch, der Welt vorgaukeln zu wollen, weder zu wissen noch zu ahnen, was am unteren Ende der sich in seiner Hand befindlichen Leine vor sich ging, wendete er sich – wie nur zufällig stehen geblieben – vom Geschehen ab und angestrengt fokussierend einem in der Ferne fahrenden Segelschiff zu, welches es scheinbar unbedingt zu beobachten und nicht aus den Augen zu verlieren galt. Offensichtlich fühlte Herrchen sich nicht wirklich wohl in seiner Rolle als der auf dem Catwalk der Promenade flanierende Pflanzenvernichter. Sichtlich erleichtert – denn Bello 3 war ein schneller Markierer – eilte er sofort nach Absolvierung des unschönen Geschäftes – und urplötzlich ohne weiteres Interesse an in der Ferne segelnden Booten – sich nicht umblickend und bemühend, jeglichem Blickkontakt mit anderen Menschen aus dem Wege zu gehen, schleunigst davon, wohl auch hoffend, niemandem, der ihn eventuell habe beobachten können, jemals im Leben wiederzubegegnen.
Allmählig löste sich meine Erstarrung, so dass ich es nicht mehr zu unterbinden vermochte, spätestens den vierten im Bunde Opfer meiner längst fälligen Reaktion werden zu lassen; auch wenn man sich an einem solch schönen Sommertag ungern streitend mit seinen Mitmenschen anlegt. Aber was zu viel ist, ist eben manchmal zu viel. Und so überwältigte mich der Drang, den nächsten Pflanzenrabauken-Besitzer auf frischer Tat ertappend anzusprechen und ihn mit der Frage zu konfrontieren – dabei trotzdem um Sachlichkeit bemüht – ob es denn nicht zumutbar wäre, seinem Hund zu untersagen, die Ergebnisse der fleißigen Hände Arbeit vieler Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des städtischen Gartenbauamtes achtlos zu vernichten und somit auch dem Vorwurf aus dem Wege zu gehen, billigend in Kauf zu nehmen, dass Letztere bei der Pflege und Beseitigung der Schäden mit ihren Händen in der Hundepisse herumhantieren müssen? Und ich war sogar gedanklich argumentativ darauf vorbereitet, seine Frage, was mich denn sein Hund überhaupt anginge, mit meinem Mindestmaß an Zivilcourage zu beantworten. Aber wider Erwarten fiel seine Reaktion überraschend hilflos aus. Er zeigte sich sichtlich beschämt und – durch sein schlechtes Gewissen offenbar geplagt – sogar einsichtig. Allerdings habe er keine Lösung für dieses „Problem“, denn es sei doch nun mal ein völlig natürliches Verhalten und Bedürfnis eines Hundes, mit seinesgleichen kommunizieren und das Revier markieren zu wollen. Man könne doch den Hunden nicht alles verbieten. Mit anderen Worten, er befand sich offensichtlich in einem Konflikt und tat mir ob seiner Unkenntnis zu den Voraussetzungen für das Wohlbefinden seines Vierbeiners beinahe schon leid.
Es macht mich manchmal schon traurig, welch falsche Vorstellungen in den Köpfen unzähliger HundebesitzerInnen herumgeistern, worin die Voraussetzungen ihrer Hunde Glückseligkeit bestünden. Und was mich sogar wütend macht, ist die Tatsache, dass ihnen bedauerlicherweise, wie eine Recherche ergab, sogar von Hundeschulen solche Flöhe ins Ohr gesetzt werden. Einer der repräsentativsten „Flöhe“ ist nämlich die Behauptung, es sei Bellos innigster Wunsch und Garant seines Wohlbefindens, das Revier erkunden und nach Herzenslust markieren zu dürfen. Aber ist das wirklich so? Nicht nur die Forschung, im Rahmen derer man das in der Nebenniere produzierte Hormon Cortisol im Urin von Hunden gemessen hat, um Rückschlüsse auf ihr Stressniveau zu ziehen, lassen zumindest Zweifel am zweiten Teil der Aussage, was das Wohlbefinden betrifft, aufkommen. Hunde, die kein typisches Revierverhalten zeigen, genießen offensichtlich eine größere Entspanntheit als ihre ständig das Revier kontrollierenden und ununterbrochen pinkelnden Artgenossen. Die Frage, die sich daraus stellt und deren Beantwortung eine mögliche Lösung für meinen sich im Widerspruch befindlichen Gesprächspartner bietet, lautet also:
Entspricht es einer artgerechten Haltung und ist es tatsächlich Bellos Wohlfühlquelle, ihn aufklären und markieren – manche nennen es auch kommunizieren – zu lassen?
Bevor ich meine Antwort einschließlich Hilfe, die ich dem etwas verzweifelten Zeitgenossen gab und anbot, in Kurzform zusammenfasse, sei mir noch eine Bemerkung zu den Unarten mancher Hundebesitzer und deren Folgen gestattet.
Ich glaube mich zu erinnern, es in einer Zeitung gelesen zu haben, dass 20% der 2011 in einer deutschen Großstadt gefällten Bäume der Säge anheimfallen mussten, weil Hunde sie „kaputturiniert“ hätten. Mal abgesehen vom Umweltschaden, den ein gefällter Baum hinterlässt, weil er als Schadstofffilter und Sauerstoffproduzent ausfällt, ist der Kostenfaktor nicht unerheblich. Die Fällung eines einzigen Baumes kostet die Kommunen und Städte bis zu 2000 € und die Anpflanzung eines neuen bis zu 1000 €. Sollte ein Hundebesitzer zum Schadensersatz verurteilt werden, wäre das ein kostspieliges Markieren. Allerdings erscheint mir hier die Beweislast das Problem, denn ein eimaliges Pinkeln tötet keinen Baum. Wesentlich einfacher und damit greifbarer sieht der Jurist jedoch den Nachweis einer Ordnungswidrigkeit. In solchen Fällen wird beispielsweise die „Ordnungsbehördliche Verordnung zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Sicherheit“ herangezogen. In Paragraf 6 heißt es: „Wer auf Verkehrsflächen oder in Anlagen Tiere, insbesondere Pferde und Hunde, mit sich führt, hat die durch die Tiere verursachten Verunreinigungen unverzüglich und schadlos zu beseitigen.“ Und dabei wird explizit nicht unterschieden zwischen Kot und Urin.
Urin enthält Harnsäure, die die pflanzlichen Zellen zerstört. Ständiges Urinieren auf die gleiche Stelle bewirkt ein Übersalzen des Bodens und verhindert so, dass Pflanzen Wasser aufnehmen können. Sie verdursten quasi. Aber nicht nur Pflanzen macht der Urin den Garaus. Auch Steine und sogar Bronzestatuen „leiden“ und müssen kostspielig gereinigt oder saniert werden. In einem besonders ekelhaften Fall beschwerten sich Händler darüber, dass Hundebesitzer ihre Vierbeiner – quasi unter Aufsicht – sogar gegen Ausstellungsware haben pinkeln lassen.
Laut einem Urteil des Bundesgerichtshofs sind Hundebesitzer künftig dazu verpflichtet, auf öffentlichen Plätzen nicht nur den Kot, sondern auch den Urin ihres Haustieres zu entfernen und sachgerecht zu entsorgen. Wer gegen diese Auflage verstößt, muss mit einem Bußgeld sowie im Wiederholungsfall mit dem Entzug des Hundeführerscheines rechnen.
Kurzum, die Unart, seinen Hund an jedem x-beliebigen Ort urinieren zu lassen, verhilft weder uns Hundebesitzern noch den Orten der Hinterlassenschaften zu einem besseren Ansehen, im Gegenteil. Und schon gar nicht entspricht es einer artgerechten Haltung – das ist absoluter Unsinn!
Und damit kommen wir auch schon zu meiner Antwort und meiner Hilfe, die ich dem ratlos wirkenden Zeitgenossen gab (die Antwort hier jedoch nur in Kurzform; die längere können Sie in meinen Büchern nachlesen):
Die Behauptung – selbst von vielen sogenannten Hundeexperten getätigt – das Aufklären und Markieren des Reviers sei ein artspezifisches bzw. arttypisches Verhalten und dessen Gewährung somit Bestandteil einer artgerechten Haltung und Garant des Wohlbefindens des Tieres, ist zumindest in dieser Absolutheit nicht korrekt.
Zunächst müssen wir nämlich differenzieren zwischen dem artspezifischen Verhalten, einer artgerechten Haltung und ihrer kausalen Beziehungen zum Wohlbefinden des Hundes.
Es ist korrekt, dass das Aufklären des Reviers und Markieren ein arttypisches Verhalten eines Hundes ist. Aber – und dieses Aber hinsichtlich seiner einschränkenden Bedeutung ist im hiesigen Kontext wichtig – dieses arttypische Verhalten trifft nur auf Hunde zu, denen die Verantwortung für ihre eigene Sicherheit und eventuell die von Frauchen bzw. Herrchen oder sonstige Ressourcen wie beispielsweise Haus und Hof überlassen oder bewusst übertragen wurde. Ein Hund, der die Verantwortung für seine eigene und sonstige Sicherheit trägt, wird stets und ständig danach streben, das Revier um sich herum unter Kontrolle zu behalten. Typische Indizien dafür sind das Zerren an der Leine, ständiges Kontrollieren der Umgebung, ununterbrochenes Markieren und eventuelles Fernhalten jeglicher Gefahren beispielsweise durch Verbellen. Ein solcher Hund, dem die Verantwortung überlassen wurde, wird durchaus artspezifisch gehalten. Aber ob es gleichwohl seinem Wohlbefinden dient – was in den meisten Fällen erklärte Absicht der Halter ist – ist überhaupt nicht selbstverständlich. Solche Hunde können unter Umständen unter einem enormen Stresspotential leiden. Abhängig ist dies davon, inwiefern der Hund sich in der Lage fühlt, seiner Verantwortung überhaupt gerecht zu werden und inwiefern man ihn auch lässt. In vielen Fällen ist es den Besitzern nämlich gar nicht bewusst, dass sie ihrem Hund diese Verantwortung überlassen haben und maßregeln ihn deshalb regelmäßig, wenn er seiner Verantwortung gerecht werden will. Im Ergebnis dessen kommt der Hund in einen riesigen Konflikt. Und nicht selten sind pathologische Befunde das Ergebnis. Mit anderen Worten: Ein markierender Hund kann unter Umständen weit entfernt sein von seinem ihm angeblich innigst gegönnten Wohlsein.
Anders sieht es aber aus, wenn man dem Hund diese Verantwortung nimmt (beispielsweise, wenn er gar kein Wach- und Schutzhund sein soll – was übrigens in den meisten Fällen, wenn ich die Besitzer darauf anspreche, so ist).
Ausnahmslos alle meine KundInnen, die mich um Hilfe bitten, ihre zerrenden und kläffenden Monster zu bändigen, wünschen sich erklärtermaßen überhaupt keinen Wachhund oder antworten mit einem klaren Nein auf meine Frage, ob sie ihrem Liebling diese Verantwortung bewusst übertragen hätten.
Da mein ratloser Gesprächspartner das eigentlich unerwünschte Verhalten seines Lieblings offensichtlich als einen unlösbaren Konflikt und Resultat höherer Gewalt einstufte, klärte ich ihn zunächst über seinen Irrtum auf und bot ihm als Hilfe und Lösung an, seinen Vierbeiner an Ort und Stelle von seiner ihm offensichtlich unbewusst überlassenen Verantwortung zu entbinden. Eine knappe Stunde später – Herrchen schaute noch etwas ungläubig – schien sich sein Markierer plötzlich für keine einzige Blumenschönheit oder sonstigen Markierungsort mehr zu interessieren und schlenderte in einer sichtlichen Tiefenentspanntheit an lockerer Leine neben seinem Herrchen daher. Da ab sofort keinerlei Verantwortung mehr auf seinen hündischen Schultern lastete und er davon ausgehen konnte, dass Herrchen jetzt und überall Garant ihrer beider Sicherheit ist, interessierte ihn weder irgend ein anderes Hundewesen noch deren angeberisches Reviergebaren.
Und ich konnte meinem – zwar noch immer etwas ratlos, aber jetzt aus einem anderen Grund, dreinschauenden – Gesprächspartner glaubhaft versichern, dass sein Hund sich jetzt ebenso wie zuvor arttypisch verhalte; er ihn jetzt ebenso wie zuvor auch artgerecht halte, jedoch sein Liebling garantiert glücklich sei und sich unter seinem Schutze wohl fühle. Denn er habe ab jetzt mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit keinerlei Stress mehr, seine Konkurrenten, Rivalen oder sogar Feinde zu sich selbst und Herrchen auf Distanz zu halten.
78. HABEN HUNDE EINE MORAL?
oder
Der Streit mit den Kognitionsbiologen?
Nachdem wir den Hund von seinen unerwünschten Verhaltensweisen – wie dem nervenden Zerren an der Leine und dem stressigen Ankläffen jedes in Sicht kommenden Wesens – hatten befreien können und er nun quasi wie ausgewechselt, und sogar ohne Leine, an Herrchens Seite daher trottete, war es mir nicht entgangen, dass dem Kunden eine Frage auf der Seele brannte. Offensichtlich traute er dem Frieden nicht so ganz. Denn wie konnte es sein, dass sein „Aggressor“, mit dem bis dato weder ein entspanntes Umherstreifen durch Mutters einsame Natur noch ein genüssliches Bummeln durch urbane Umgebung möglich war, plötzlich und nach einem einzigen Training mutmaßlich zu einem „Lamm“ mutiert zu seien schien? Und das Ganze sogar ohne all die ihm bisher angeratenen Ablenkungs- und Konditionierungsversuche via Leckerli, Klicker oder sonstigen mit wichtig und metaphorisch daherkommenden Begriffen wie Ankereffekt o.ä. betitelten Tricks. Die allerdings, wie er eingestand, auch allesamt und trotz des Verbrauchs mehrerer Zehnerkarten von wenig bis gar keinem Erfolg gekrönt waren. Und nun plötzlich, nach nur einem einzigen „Spaziergang“ (wie er selbst anschließend formulierte), hatte sich sein „Hundeproblem“ gewissermaßen in Luft aufgelöst. Das konnte vermeintlich nicht mit rechten Dingen zugehen.
Deshalb ermutigte ich den Kunden mit den Worten: „Heraus mit der Sprache, was bewegt Sie?“
„Nun ja, es ist mir schlichtweg unerklärlich, wie es sein kann, dass ein Hund im Allgemeinen und meiner im Besonderen sich derart schnell und offensichtlich grundlegend in seinem Verhalten ändern kann. Und das Ganze scheinbar ohne Gewalt; abgesehen von Ihrem konsequent wirkenden Agieren meinem Hund gegenüber. Könnte es sein, dass er deshalb jetzt nur Angst hat oder vielleicht sogar beleidigt ist und deshalb lammartig neben mir herläuft?“
Das mit der Angst konnten wir schnell und für den Kunden nachvollziehbar ausschließen. Denn dazu hätte es entweder der Anwendung oder zumindest der Androhung von Gewalt oder irgendeiner Bedrohung durch mich bedurft, die das Sicherheitsbedürfnis des Hundes zumindest mutmaßlich beeinträchtigt. Er musste aber anerkennen, dass dies mitnichten geschehen war, denn ich habe den Hund lediglich in den entscheidenden Momenten, in denen er sich aus Sicht des angestrebten Erziehungszieles falsch verhielt, konsequent korrigiert und ihm gleichzeitig demonstriert, dass es für sein unerwünschtes Verhalten ab sofort keinen Grund mehr gibt. Von Gewalt, die durch den Hund vermeintlich als unangenehm oder vielleicht gar als bedrohlich hätte interpretiert werden können, konnte in keinster Weise (um semantisch passend einen sogenannten absoluten Superlativ zu verwenden) die Rede sein.
Also blieb noch die Frage nach der Moral; denn beleidigt zu sein setzt eine solche kognitive Fähigkeit voraus. Und so kamen wir auf ein spannendes Thema, welches ich auf Bitten des Kunden hin hier einmal thematisieren sollte:
Haben Hunde eine Moral? Kennen sie Empathie oder Altruismus? Haben sie ein Selbstbewusstsein und sind zur Selbstreflexion fähig? Sind ihre Emotionen denen des Menschen gleich oder ähnlich?
Die kurze Antwort lautet: Man weiß es noch nicht so wirklich. Oder anders ausgedrückt, die Fachwelt streitet sich noch heftig.
Die längere:
Die Wissenschaft teilt sich diesbezüglich – wie in solchen Fällen nicht unüblich, wenn die Forschungsergebnisse noch nicht unwiderlegbar sind – in zwei Lager. Die einen meinen „Ja“ und die anderen „Unmöglich“. Letztere glauben, ihre Kritik damit begründen zu können, dass die subjektiven geistigen Erlebnisse wie Denken und Fühlen durch wissenschaftliche Methoden nicht direkt zugänglich seien und deshalb nicht belegbar. Beim Menschen könne man dies wenigsten partiell durch seine Fähigkeit zum Sprechen kompensieren. Außerdem sei die Sprache, die den Tieren nun einmal nicht vergönnt sei, ohnehin die ultimative Voraussetzung zu höheren kognitiven Leistungen.
Rückendeckung bekommen die Kritiker von den theistischen Vertretern der Spezies Mensch, an deren Ego die Vorstellung ohnehin empfindlich nagt, Tiere seien zu höheren kognitiven Leistungen ähnlich dem Menschen befähigt. Nicht wenige Hardliner der christlichen Schöpfungslehre (aber nicht nur sie) haben ohnehin und existentiell, spätestens seit Darwins Abstammungslehre, ein riesiges Problem damit, anerkennen zu müssen, dass wir nur ein etwas besserer Affe sind.
Und die große Uneinigkeit wird noch dadurch befördert, dass es nach wie vor noch keine einheitlichen Definitionen für grundlegende Begrifflichkeiten wie Bewusstsein oder Selbstbewusstsein gibt.
Demgegenüber sehen die Befürworter in der Unmöglichkeit, subjektive Erlebnisse messen zu können, jedoch kein ausreichendes Argument gegen das Vorhandensein kognitiver Fähigkeiten. Hinzu komme, dass es die evolutionäre Kontinuität im Reich der Organismen es als sehr unwahrscheinlich mache, dass die Kognition ohne Vorstufen erst beim Menschen auftrete.
Meine Sympathie mit dem Standpunkt der Befürworter habe ich bereits in einem meiner Bücher offenbart und mich dort der Auffassung von Marc Bekoff angeschlossen, der sinngemäß dazu rät, allen Tieren, bei denen solche Fähigkeiten wie Trauer, Empathie oder Selbstbewusstsein nicht nachweisbar auszuschließen seien, ebendies sicherheitshalber als vorhanden zu unterstellen.
Es gibt einen noch relativ jungen Wissenschaftszweig namens Kognitive Ethologie, oder in einer allgemeineren Form Kognitionsbiologie, der sich mit diesem Thema auseinandersetzt und bei Tieren bereits ein breites Repertoire an moralischen Verhaltensweisen nachweisen konnte. Wichtige Vertreter dieser Fachrichtung sind neben Marc Bekoff auch José Bermúdez, Allen Collin, J. Goodall, Donald R. Griffin usw.
Der österreichische Kognitionsbiologe Ludwig Huber beispielsweise widerspricht jedenfalls dem Grundsatz der christlichen Ethik, die da meint, dass die Moral den Menschen vom Tierreich trenne.
Für dieses irrtümliche Dogma der Kirche gibt es nämlich allerhand Gegenbeweise. Beispielsweise ist es belegt, dass Hunde spüren, wenn es Herrchen oder Frauchen nicht gut geht. Oder sie scheinen genau zu wissen, wann sie einen Fehler begangen haben. Auch können Hunde nachweisbar einschätzen, ob Frauchen aus ihrer Position etwas sehen kann oder nicht und davon abhängig ein mit Bestrafung sanktioniertes Verbot bewusst umgehen oder eben nicht. Sie stehlen beispielsweise ein Stück Fleisch nur dann, wenn sie wissen, dass Frauchen aus ihrer momentanen Position ihr Fehlverhalten nicht beobachten kann. Damit könnte beispielsweise bewiesen sein, dass ein nichtmenschliches Tier in der Lage ist, etwas wie eine richtige „Theorie des Geistes“ zu entwickeln. Denn Ludwig Huber beschreibt, dass damit die Fähigkeit bezeichnet wird, sich in den anderen hineinzuversetzen oder sogar den Inhalt des Denkens eines anderen Wesens sich als etwas vorzustellen, das sich vom eigenen unterscheidet.
Und es gibt Hinweise, dass Hunde ein Selbstbewusstsein besitzen; also zu wissen, wer sie sind. Dazu bediente man sich in abgewandelter Form des bereits bei Kindern angewandten Spiegelversuchs, mit dem man ursprünglich nachweisen konnte, dass kleine Kinder etwa ab dem zweiten Lebensjahr ein Selbstbewusstsein entwickeln. Man malte oder klebte den Knirpsen unbemerkt einen kleinen farbigen Punkt auf die Stirn und stellte sie vor einen Spiegel. Und erst mit ca. 2 Jahren fassten sie sich daraufhin an die eigene Stirn, um den Punkt zu beseitigen und nicht, wie bis dahin, an das Spiegelbild. Indem man nun Hunde ihr eigenes Spiegelbild vorhielt, sie dieses aber weitestgehend mit Desinteresse quittierten, kam man zu dem Schluss, dass sie sich bewusst sind, sich selbst zu sehen. Denn ansonsten müsste man annehmen, dass sie, wie sonst üblich, zumindest ein Interesse an ihrem Artgenossen zeigen, wenn nicht sogar Aggressionen ihm gegenüber.
Ludwig Huber schreibt, dass die Fülle der empirischen Evidenz es nahelege, dass die menschliche Moral ihren evolutionären Ursprung in den Emotionen und Denkprozessen, die wir mit anderen Tieren teilen, habe. „Verhaltensbiologen und vergleichende Psychologen können heute zeigen, dass beginnend mit der ‚emotionalen Ansteckung’ auch Formen der Empathie (Einfühlung) und sogar der Sympathie auftreten, bei der situationsspezifische Wünsche und Bedürfnisse des anderen von den eigenen unterschieden werden.“
Kurzum – und um auf die eingangs vom Kunden gestellte Frage zurückzukommen, ob sein Hund eventuell beleidigt sei, weil er sich scheinbar wie die berühmte Leberwurst verhielt –, die Frage musste ich differenziert beantworten. Wenn wir sie nämlich dahin gehend verallgemeinern, ob ein Hund generell zu der kognitiven Leistung des Gefühls Beleidigtsein fähig ist, lässt sie sich offenkundig noch nicht wirklich klar beantworten. Da sollten wir der kognitiven Ethologie oder Kognitionsbiologie noch ein paar Jahre Forschung zugestehen. Aber was den speziellen Fall meines Kunden betrifft, dessen Hund nach unserem Training vermeintlich eingeschnappt an seiner Seite trottete; den konnte ich mit ruhigem Gewissen als nichtzutreffend beurteilen. Denn das, was den Eindruck einer vom Hund vermeintlich demonstrativ zur Schau getragenen Emotion hinterließ, entpuppt sich nämlich bei näherer und sachlicher Betrachtung als nichts anderes als das Ergebnis des angestrebten Trainings; nämlich als seine Tiefenentspanntheit.
Warum? Das Ziel eines Erziehungstrainings (nicht einer Ausbildung/Konditionierung) besteht nämlich darin, den Hund von seiner Verantwortung für die Sicherheit (für seine eigene und/oder die seiner ihm anvertrauten Personen und/oder Ressourcen) zu entbinden, die er ansonsten (in Abhängigkeit seiner Rasse und Zuchthistorie) selbstständig übernimmt. Zwei typische Indikatoren dafür, dass der Hund sie übernommen hat sind übrigens (so wie auch bei diesem hier beschriebenen Hund) die beiden unerwünschten Verhaltensweisen Zerren an der Leine (Aufklärungswille) und Verbellen (Abwehr und Einschüchterung potenzieller Rivalen oder Feinde). Indem wir ihm nun im Rahmen des Trainings diese Verantwortung genommen und ihm demonstriert haben, dass ab sofort Herrchen für beider Sicherheit sorgt, fiel, metaphorisch ausgedrückt, quasi eine riesige Last von seinen Schultern. Die Verantwortung, die er zuvor hatte und die ihm u.U. sogar einen oftmals nicht als solchen erkannten Stress bescherte (bei vielen Hunden zeigt sich dieser z.B. in pathologischen Befunden wie Fellproblemen) war jetzt urplötzlich verschwunden.
Und nun stelle man sich einmal vor oder versetze sich selbst in eine ähnliche Situation, man würde uns von jetzt auf gleich von einer schier unerträglichen Last befreien. Wie sehe optisch in diesem Moment wohl unsere Reaktion aus (auch ohne dem Anthropomorphismus auf den Leim zu gehen)?
Und wenn eine solche psychische oder mentale Entlastung eines zuvor gestressten Tieres sich in einer scheinbaren beleidigten Leberwurst manifestiert, denke ich, sollten wir viel mehr Hunde in den Genuss des Schmollens kommen lassen. Dazu brauchen wir sie nur zu erziehen.
Noch eine abschließende Bemerkung, bevor man mir wieder vorwirft, ich wolle allen Hunden den Spaß verderben, weil ich sie angeblich der sie glückselig machenden “Kommunikation” mit ihresgleichen beraube. Solange das Verhalten des Hundes genau dass ist, was Herrchen oder Frauchen von ihm erwarten und sowohl sie als auch andere Teilnehmer am öffentlichen Leben nicht stört, belästigt oder gar gefährdet, sollte meinetwegen jeder Hund das Revier nach Herzenslust aufklären, markieren und mit seinen Rivalen wetteifern. Aber eben nur dann. Allerdings sind das nicht diejenigen Herrchen oder Frauchen, die mich um Hilfe bitten, ihren Hund von seinen vermeintlichen Macken zu befreien. Ich spreche in meinen Beiträgen ausschließlich von solchen Fällen, in denen der Hund zumindest ein unerwünschtes, wenn nicht sogar andere gefährdendes Verhalten an den Tag legt und der Hund sozialisiert werden muss.
77. WARUM BEISST DER HUND PLÖTZLICH ZU
oder
Das fehlende Glied im Handlungsaufschub
Ich habe an dieser Stelle bereits mehrmals darauf aufmerksam gemacht, dass ich mich als Hundetrainer ausschließlich auf die Erziehung oder Resozialisierung von verhaltensauffälligen Hunden konzentriere und ich auch nur die sich daraus gewonnenen Erkenntnisse hier in meinen Beiträgen thematisiere. Das heißt natürlich nicht, dass diese nicht verallgemeinert und – falls die Erziehung überhaupt notwendig sein sollte – ebenfalls bei unauffälligen Hunden angewendet werden könnten, zumindest selektiv.
Aber die zum Teil sehr kritischen Reaktionen, die auf meine Beiträge folgen, lassen mich vermuten, dass die KritikerInnen dem Irrtum unterliegen, dass die von mir vertretenen Theorien meiner Meinung nach grundsätzlich auf jeden Hund, unabhängig davon, ob er auffällig geworden sei oder nicht, zwingend anzuwenden seien. Das ist aber mitnichten der Fall. Im Gegenteil, denn noch nicht einmal jeder Hund bedarf überhaupt der Erziehung. Dies habe ich auch ausführlich sowohl bereits mehrmals hier an dieser Stelle als auch in meinem Buch, unter anderem im Kapitel „Dialog mit dem Urgroßvater“, begründet. Denn die Erziehung eines Hundes an sich ist vielmehr erst dann angezeigt, wenn es einen Konflikt gibt zwischen seinem Dispositionsgefüge (seine Veranlagungen, Instinkte und angezüchteten Verhaltensweisen) und seinem von ihm im Alltag tatsächlich erwarteten Verhalten.
Ein typisches Beispiel wäre der Deutsche Schäferhund. Er verfügt durch sein Dispositionsgefüge über ideale Voraussetzungen, nicht nur eine Herde von Schafen hüten und beschützen zu können, sondern gleichwohl alles, was ihm an Personen und Ressourcen anvertraut wurde sogar beschützen zu wollen. Wäre nun eine solche adäquate Aufgabe die ihm übertragene und das einzige von ihm erwartete Verhalten, gäbe es keinen einzigen Grund, an diesem Dispositionsgefüge durch Erziehung (was laut Definition Gegenstand und Ziel einer Erziehung ist) irgendetwas ändern zu wollen. Jedoch sieht der typische Alltag eines heutzutage angeschafften Schäferhundes in der Regel völlig anders aus. Kaum ein Schäferhund soll heute noch Schafe hüten. Auch wird ihm nur in wenigen Fällen heute noch bewusst der Schutz von Haus und Hof übertragen. Vielmehr obliegt ihm im Zeitalter der Wohlstandsgesellschaft – zumindest belegen meine Erfahrungen und die typischen Problemfälle, zu denen ich gerufen werde, einen solchen Eindruck – eher die Aufgabe, als familienfreundlicher Sozial- und Schmusepartner zu taugen. In solchen Fällen kommt man dann jedoch an seiner Erziehung nicht vorbei. Denn werden solche Hunde, bei denen ein ausgeprägtes Aggressionspotential als Bestandteil ihres agonistischen Verhaltensrepertoires durch jahrzehnte- oder teilweise sogar jahrhundertelange Selektion und Züchtung fest verankert wurde, nicht erzogen, kommt es unausweichlich zu intraspezifischen und interspezifischen Konflikten. Will heißen, es besteht dann die reale Gefahr aggressiver Übergriffe nicht nur innerhalb ihrer Spezies, sondern insbesondere auch gegenüber Menschen. Warum? Das habe ich bereits in vielen Beiträgen begründet.
Was mich diesmal veranlasst, auf das Thema noch einmal einzugehen, war die Frage einer Kundin, die mich zuvor um Hilfe gebeten hatte, weil ihr Hund plötzlich – und ihrer Meinung nach völlig unerwartet – ein fremdes Kind attackiert hatte. Glücklicherweise hielt sich der Schaden insofern in Grenzen, da das Kind mit dem Schrecken davonkam (was allerdings schlimm genug ist). Und sie betonte ausdrücklich, dass das Verhalten ihres Hundes angeblich niemals zuvor Anlass bot, mit einer solchen Gefahr rechnen zu müssen. Es passierte – wie sie es formulierte – aus heiterem Himmel.
Im Übrigen eine typische Causa oder Anatomie solcher Vorfälle, wenn ein Hund, dessen Dispositionsgefüge alle Voraussetzungen bietet, seine ihm anvertrauten Personen und Ressourcen beschützen und verteidigen zu wollen; er jedoch nicht ausdrücklich durch Erziehung von der sich daraus für ihn ergebenden Verantwortung entbunden wurde. Und zu diesen Hunden zählen nicht nur die sogenannten Listenhunde.
Die Frage der Kundin lautete nun sinngemäß: Warum beiße ein Hund plötzlich und ohne Vorwarnung zu, obwohl er vermeintlich ein ganz Lieber sei?
Die Antworten auf die Frage, warum ein Hund zubeißt, sind heutzutage hinlänglich bekannt und finden sich beispielsweise im Netz in Hülle und Fülle; und ich habe hier weder vor, diese wiederzukäuen noch ihnen neunmalklug etwas hinzuzufügen. Ich will vielmehr versuchen, mit Hilfe der Erkenntnisse aus der Gehirnforschung ein Verständnis dafür zu vermitteln, dass der Hund von Hause aus – wie man landläufig sagt – oder neuroanatomisch begründet eigentlich gar nicht anders kann, als zuzubeißen, so man diesen Reflex nicht durch Erziehung unterdrückt; und damit nochmal die zwingende Notwendigkeit der Erziehung mancher Hunde zu begründen.
Es gibt ein interessantes Buch von John J. Ratey, Professor für Psychiatrie an der Harvard Medical School, dessen Lektüre mich auf einen interessanten Zusammenhang aufmerksam machte und eine alternative Antwort auf die gestellte Frage bietet und damit unbeabsichtigt ein zusätzliches Argument pro Hundeerziehung liefert. Das Buch heißt „Das menschliche Gehirn – Eine Gebrauchsanweisung“. Zugegeben, dem Titel nach ein etwas weit hergeholter Bezug zur Erziehungsnotwendigkeit eines Hundes, aber trotzdem des Überdenkens wert.
Im Kapitel „Sprache“ erklärt der Autor nämlich, welche evolutionsbiologische Bedeutung für den Menschen die Fähigkeit zum Sprechen gehabt habe und inwiefern sich daraus einer der entscheidenden Unterschiede zwischen Mensch und Tier (in unserem Fall zwischen Mensch und Hund) ergebe. Er weist in diesem Zusammenhang nach, dass erst die Fähigkeit des Menschen zu sprechen ihm die Möglichkeit nicht nur zur hoch komplexen Verständigung offenbarte, sondern er erst dadurch sein zukünftiges Handeln planen und steuern konnte. Und zwar könne man sagen, dass die Sprache ursprünglich als ein Instrument entstand, eine Verzögerung in das Handeln einzubauen, um das Zusammenleben des Menschen in großen und komplexen Gruppen zu ermöglichen und Chaos zu vermeiden. Denn wenn jeder Mensch in diesen Gruppen, ähnlich einem Tier, auf jeden Reiz impulsiv, unmittelbar und reflexartig mit einer Handlung reagiert hätte, wäre das Zusammenleben unmöglich gewesen. „Sprache verfeinert das Denken und entwickelt es weiter. Sie ermöglicht uns, zum gegenwärtigen Geschehen eine Distanz einzunehmen und Objekte im Bewusstsein als Symbole verfügbar zu halten, so dass wir sie im Geiste auf verschiedene Weise anordnen und potentielle Handlungsmöglichkeiten durchspielen können, ehe wir dann tatsächlich zur Tat schreiten. Das Moment des Handlungsaufschubs ist für gezieltes Tun entscheidend. Durch die Sprache wird unser Handeln unabhängiger von den emotionalen Impulsen, die unsere unmittelbaren Wahrnehmungen auslösen.“
Das heißt, erst durch die Sprache sind wir in der Lage, nach einem Reiz die Reaktion hinauszuzögern und erst dadurch moralische Entscheidungen treffen zu können, unseren Ärger im Zaum zu halten und sogar unsere Gefühlsregungen richtig wahrzunehmen. Erst durch die Sprache können wir die Konsequenzen unseres folgenden Handelns abwägen und einer moralischen oder ethischen Bewertung unterziehen bevor wir handeln. Er schreibt, bei Kindern lasse sich am besten beobachten, wie Sprache das Handeln leite. In vielen Untersuchungen sei nachgewiesen worden, dass Kleinkinder, die laut mit sich selbst reden und sich Anweisungen geben, während sie mit einer Aufgabe beschäftigt seien, diese Aufgabe leichter bewältigen und bei dem Versuch, das Problem zu lösen, ihr Verhalten besser steuern können. Im Verlauf der weiteren Entwicklung ebbe das „Selbstgespräch“ dann zum Flüstern ab und sei in der Grundschulzeit schließlich vollständig verinnerlicht und unhörbar geworden.
Störungen dieses Systems können durchaus erhebliche Folgen haben. „Die Fähigkeit zum Selbstgespräch kann im Wesentlichen auf zwei Arten gestört sein. Die erste Störungsquelle ist Impulsivität oder Impulsgetriebenheit, das heißt eine Einschränkung … der Reaktionshemmung, die das Hauptdefizit bei der Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung (AD/HS) darstellt.“ Solche Menschen fänden keine Zeit für die sekundären Verarbeitungsprozesse, die notwendig wären, um sich von den momentan auf sie eindringenden Reizen zu lösen. Daraus entstehe das Nichtbezähmenkönnen von Wut und Ärger. „Die zweite Störungsquelle ist eine Einschränkung der Fähigkeit, Sprache ausreichend präzise oder mühelos einzusetzen, um zwischen Reiz und Reaktion ein Verzögerungsintervall einzuschieben.“
Will heißen, durch die Sprache verfügen wir Menschen über die Möglichkeit und das Instrument, impulsives Verhalten zu unterdrücken. Dieses Glied fehlt dem Hund. Er verfügt nicht über ein solches retardierendes Moment, wie der Fachmann sagt. Bei einem Hund folgen in der Regel auf den Reiz sofort die Reaktion und Handlung. Und diese werden biologisch vorgegeben durch sein Dispositionsgefüge.
Kennt man nun das Dispositionsgefüge eines Hundes (beispielsweise durch Kenntnisse über seine Rasse) oder kann man sie nur erahnen (beispielsweise aufgrund seiner suspekten Vorgeschichte) und ergibt sich daraus potentiell ein Konflikt oder Widerspruch zum im Alltag von ihm erwarteten Verhalten, muss man durch Erziehung ein im übertragenen Sinne hemmendes Glied simulieren bzw. ersetzen, so dass sein impulsives Verhalten weitestgehend unterdrückt wird.
Meine Erfahrungen besagen nun, dass ein solches „hemmendes Glied“ nur scheinbar durch eine Konditionierung „eingefügt“ werden kann. Denn durch sie wird in der Regel nicht der Grund für sein impulsives Verhalten beseitigt, sondern maximal der auslösende Reiz durch Überlagerung durch den Konditionierungsreiz vertuscht, die außerdem nur temporär und kaum nachhaltig wirkt. Solange diese Überlagerung stark genug ist, mag die Konditionierung scheinbar von Erfolg gekrönt sein. Aber am Dispositionsgefüge kann eine Konditionierung nur sehr wenig, wenn nicht sogar gar nichts ändern.
Eine erfolgversprechendere Lösung ist – zumindest nach meinen Erfahrungen – die Erziehung, denn sie nimmt direkt Einfluss auf das erwähnte Dispositionsgefüge durch Manipulation eines der Grundbedürfnisse. Allerdings kommt man bei einer solchen Reiz-Reaktions-Unterdrückung, von der ich hier spreche, nicht um eine konsequente und energische Art der Erziehung herum. Will heißen, mit „Wattebällchen und Leckerlies“ hat das dann nichts zu tun; aber auch nicht zwingend mit Gewalt, was man mir zu gerne unterstellt.
Im Übrigen, bevor der eine oder die andere bei der Assoziation des Begriffes Gewalt jetzt tief Luft holen, sollten wir uns noch einmal vergegenwärtigen, von welchen Hunden ich hier in meinen Artikeln ausschließlich spreche. Exemplarisch sind dies nämlich Hunde, die eine reale Gefahr nicht nur für ihresgleichen, sondern ebenso für unbeteiligte Menschen und insbesondere Kinder darstellen. Ich rede hier ausdrücklich nicht von Oma Hedwigs Schoßhund (wenn Sie verstehen, was ich meine). Welche absurden Ausmaße und verschobenen Relationen eine falschverstandene Tierliebe mittlerweile angenommen hat, ist mir vor einiger Zeit wieder einmal widerfahren und hat mir beinahe die Sprache verschlagen. Eine Kundin hatte mich um Hilfe gebeten, weil ihr Bullterrier ein kleines dreijähriges Mädchen angefallen hatte und dieses nur durch ein unvorstellbares Glück der Katastrophe entkommen war. Bevor ich mich mit dem Hund befassen konnte, fragte die Kundin mich nämlich mit einem ängstlichen Unterton: „Aber sie tun ihm doch nicht weh, oder?“ Meine Reaktion brachte sie dann doch etwas zum Nachdenken, denn ich fragte sie, ob denn das kleine Mädchen noch Schmerzen hätte.
Aber Empörung beiseite; wenn ich von „konsequent“ und „energisch“ spreche, dann ist damit mitnichten physische Gewalt in Form von Schlägen o.ä. gemeint. Sondern vielmehr eine sofortige, unmittelbare und unter allen Bedingungen jederzeitige Demonstration des Unerwünscht-Seins dieses Verhaltens dem Hund gegenüber, sowie er auch nur das geringste Anzeichen aggressiven Verhaltens gegenüber Kindern zeigt; so dass ihm verdeutlicht wird, dass Kinder unter dem besonderen Schutz stehen und Aggressionen ihnen gegenüber ein absolutes No-Go ist. Neben allen körperlichen Anzeichen, die der Hund im Rahmen seines Aggressionspotentials zeigt, muss insbesondere bereits auf das Knurren in dieser Weise reagiert werden. Und zwar nicht mit einem ablenkenden Konditionierungsreiz oder gar mit einer defensiven Schlichtungs- oder Rückzugsgeste, die ihm sogar noch ein manifestierendes Erfolgserlebnis verschaffen würde, sondern mit einer offensiven erzieherischen Demonstration, die dem Hund die Kausalität zwischen seinem Verhalten und dem No-Go unmittelbar verdeutlicht. Erst dadurch kann er die soziale Regel erkennen und verstehen. Und glauben Sie mir, ein Hund ist diesbezüglich nicht sentimental nachtragend. Im Gegenteil, in seiner Welt – und dies kennt er nicht nur aus seiner Lehrzeit als Welpe – ist es Routine, dem anderen energisch seine Grenzen zu zeigen, ohne dass der andere einen mentalen Schaden davontrüge. Wenn es nicht so wäre, würden die meisten Hunde deprimiert und beleidigt durch die Welt schlürfen.
76. WARUM KANN DIE BELOHNUNG KEINE METHODE DER ERZIEHUNG SEIN?
oder
Die Mechanismen des mesocortikolimbischen Belohnungssystems
Eine Kundin bemängelte kürzlich, dass ich in meinen Beiträgen, in denen ich immer wieder betone, dass die Mittel und Methoden der Ausbildung eines Hundes zu seiner Erziehung ungeeignet seien, bisher den Beweis schuldig geblieben sei, warum beispielsweise das Mittel oder die Methode der Belohnung, die in der Ausbildung schließlich der Königsweg seien, zur Erziehung des Hundes nicht taugen.
In der Überzeugung, dies aber bereits mehrmals getan zu haben, habe ich daraufhin in meinen letzten Beiträgen nachgeschaut und musste ihr insofern Recht geben, dass sie dazu hätte etwas „zurückblättern“ müssen.
Deshalb hier eine kleine Reprise mit ein paar zusätzlichen Argumenten.
Doch bevor ich diesmal jemanden zu Worte kommen lasse, der am nächstliegenden in der Lage sein sollte, uns den Grund zu erklären – gestützt durch einen gewissen Hauch von Wissenschaftlichkeit –, nämlich einen Experten der Lernpsychologie, muss ich zum besseren Verständnis noch einmal den entscheidenden Unterschied zwischen Ausbildung und Erziehung definieren; denn erst aus diesem Verständnis heraus lässt sich die Tauglichkeit oder Untauglichkeit eines Mittels oder einer Methode zum Erreichen des jeweiligen Ziels herleiten. Außerdem verhindert es, ungewollt über zwei verschiedene Dinge zu reden:
Zunächst zur Ausbildung des Hundes: Sie ist Gegenstand und Ziel, den Hund zu motivieren und zu befähigen, etwas zu tun, was er ohne sie mangels an Instinkten nicht tun würde. Es handelt sich dabei sowohl um Fähigkeiten als auch um Fertigkeiten, die der Hund von Hause aus weder besitzt noch beherrscht. Dazu zählen das Befolgen und korrekte Ausführen aller Grundkommandos wie Sitz, Platz & Co. Am eindrucksvollsten kann man ihre Resultate auf einem Agility Parcours bestaunen oder im Zirkus, wenn Bello in einem Petticoat-Kleidchen sich tanzend auf einem Bein zum Affen macht oder der Dompteur seinen Kopf in den Rachen eines Amerikanischen Pitbull Terriers steckt, ohne dass dieser schluckt. Ebenso ist es ein Resultat der Ausbildung, wenn Hasso Hunderte verschiedener Kuscheltiere ihrem Namen nach kennt und sie korrekt auf Kommando aus einem riesigen Haufen Plüschtiere herausfischt. Für all dies fehlen dem Hund die natürlichen Instinkte. Ein typisches Indiz für die Ausbildung ist das wiederholte Üben. Die Wiederholung gehört quasi zum Einmaleins.
Und die klassische Methode, ihn trotz der ihm fehlenden Instinkte zu solch beeindruckenden Leistungen zu verführen und zu befähigen, ist die Konditionierung, deren Grundlagen uns u.a. der Psychologe B. F. Skinner schon vor mehr als einem halben Jahrhundert erklärte: Bekommt eine Ratte Zucker, wenn sie einen Hebel bedient, so wird sie mit Sicherheit diesen Hebel immer öfter bedienen. Zucker hat einen belohnenden Effekt und verstärkt Verhaltensweisen, auf die Belohnung folgt. Bestrafung bewirkt das Gegenteil. Der Dresseur oder Dompteur nennt das Ganze Zuckerbrot und Peitsche.
Mit der Erziehung hat dies alles jedoch nichts zu tun. Die Erziehung ist vielmehr Gegenstand und Resultat der intra-, inter- und umweltspezifischen Sozialisierung, indem auf das Dispositionsgefüge des Hundes – sprich seine Instinkte, Veranlagungen und Triebe – Einfluss genommen wird. Das heißt, hier ist nicht das Nichtvorhandensein von Instinkten wie bei der Ausbildung das „Problem“, sondern im Gegenteil, das Vorhandensein von Instinkten. Im Ergebnis der Erziehung soll der Hund nämlich etwas unterlassen, was er ansonsten aufgrund seiner natürlichen Instinkte und Veranlagungen tun würde. Daraus resultiert auch, dass der Anlass einer Erziehung ein völlig anderer ist, als bei der Ausbildung. Eine Erziehung ist nur dann angezeigt und überhaupt notwendig, wenn das Dispositionsgefüge des Hundes und seine dadurch initiierten sozialen Verhaltensweisen nicht mit dem übereinstimmen, was man von ihm und seinem Verhalten erwartet. Im Kapitel „Dialog mit dem Urgroßvater“ in meinem letzten Buch habe ich diesen Zusammenhang ausführlich erläutert und nachgewiesen, dass die Notwendigkeit der Erziehung quasi erst ein Resultat der heutigen Entfremdung des Hundes von seiner ihm ursprünglich zugedachten Rolle ist.
Ein Beispiel: Nehmen wir einmal an, einem typischen Wach- und Schutzhund – wie beispielsweise der Rottweiler einer ist und der dafür auch das notwendige Dispositionsgefüge besitzt – würde man tatsächlich die Aufgabe anvertrauen, Haus und Hof oder Kind und Kegel zu bewachen und zu beschützen; quasi ihm die Aufgabe überlassen, für die ihm auch die notwendigen Veranlagungen durch Selektion angezüchtet wurde. Dazu zählt insbesondere sein Bedürfnis nach Sicherheit, welches er instinktiv befriedigt und zu deren Gewährleistung er sein gesamtes agonistisches Verhaltensrepertoire einsetzt. Eine solche Aufgabe müsste man ihm auch gar nicht demonstrativ übertragen, sondern ihn nur gewähren lassen, da er sie aufgrund seiner Veranlagungen von ganz allein übernehmen würde.
Kein Mensch käme doch in diesem Fall auf die Idee, an diesem Hund herumerziehen zu wollen, um sein Dispositionsgefüge zu verändern. Denn warum auch? Er macht schließlich instinktiv mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit genau das, was man von ihm erwartet; nämlich einen höllischen Radau, sowie jemand versuchen sollte, sich seinen ihm anvertrauten Personen oder Ressourcen nähern zu wollen. Und sollte einer seiner Artgenossen auf die Idee kommen, sich ihm zu nähern, wäre dieser gut beraten, das Weite zu suchen, denn er wäre sein potentieller Todfeind.
Aber vollkommen anders sähe und sieht die Welt doch sofort aus, wenn – wie es heutzutage eben in Mode gekommen ist – sein mit gleichen Veranlagungen und Instinkten ausgestatteter Bruder eben nicht als Wachhund, sondern als Kuscheltier taugen oder Frauchen als ihr sozialer Ersatzpartner auf ihren täglichen Begegnungsorgien mit ihren Freundinnen und deren Hunden auf die Hundewiese begleiten soll. Hier wird nun plötzlich selbstredend von ihm erwartet, nicht mehr seinem natürlichen Dispositionsgefüge zu folgen und sich und Frauchen zu beschützen, sondern jetzt seine natürlichen Todfeinde nicht nur zu tolerieren, sondern zu allem Überfluss (und zu Frauchens und ihrer Freundinnen Belustigung) auch noch mit ihnen herumzutollen und so zu tun, als ob er nichts lieber täte, als mit seinen Feinden, die er am liebsten verjagen oder auffressen würde, um ein weggeworfenes Stöckchen zu wetteifern. Wen wundert‘s, wenn es hier zu einem knallharten Konflikt zwischen hündischen Instinkten und menschlicher Bedürfniswelt kommt?
Die Lösung für diesen Konflikt kann dann nur die Erziehung des Protagonisten sein; nämlich seine intra- und interspezifische Sozialisation; sprich Entbindung von seiner Verantwortung zum Bewachen und Beschützen und damit Einfluss zu nehmen auf sein Dispositionsgefüge.
Und die beiden klassischen Methoden, die dafür zur Verfügung stehen, sind die Korrektur und Demonstration; sprich die konsequente Einschränkung seines Entscheidungsspielraums und Übernahme der Verantwortung für die Sicherheit durch Frauchen selbst.
Eine Besonderheit, die quasi eine Kombination aus Ausbildung und Erziehung darstellt bzw. zwingend verlangt, sind alle Formen des sogenannten Spezialhundetrainings wie beispielsweise das der Such- und Rettungshunde oder das eines Jagdhundes. Aber auch das Beherrschen und Erfüllen komplexerer Aufgabenstellungen, wie das sichere und zuverlässige Geleiten eines Sehbehinderten durch die Wirren eines Großstadtverkehrs, fallen darunter. Hier werden nämlich einerseits reine Ausbildungssequenzen trainiert (wie das zuverlässige Befolgen und Ausführen von Kommandos oder Anweisungen) und andererseits reine Erziehungssequenzen. Denn bei diesen Hunden will man zielgerichtet vorhandene Instinkte wie beispielsweise den Jagdinstinkt oder das Aufklären des Reviers mithilfe des Geruchssinnes nutzen, jedoch in einem streng limitierten Entscheidungsspielraum. Ohne Erziehung wären diese Hunde gut ausgebildet aber eben nicht sozialisiert (siehe dazu auch in meinem Buch „Die Erziehung verhaltensauffälliger Hunde“ im Kapitel „Die hohe Schule der Hundeschule oder wann trifft Erziehung auf Ausbildung“).
So weit, so gut.
Aber nun zur Trainingsmethode oder dem Mittel der Belohnung und der Frage, warum sie zur eben beschriebenen Erziehung nicht taugen können. Und ich will noch ergänzen, warum ihre Anwendung im Rahmen einer notwendig gewordenen Sozialisierung oder Resozialisierung eines auffällig gewordenen Hundes, der im schlimmsten Fall Menschen angegriffen hat (und das sind nicht nur die sogenannten Listenhunde), sogar verantwortungslos und gefährlich ist.
Vorweg muss ich allerdings zugeben, aber auch davor warnen, dass es manchmal den Anschein erwecken kann, als würde sich ein Hund durch Belohnung von seinem unerwünschten Verhalten, welches in seinem Dispositionsgefüge begründet ist, abbringen lassen und man somit Einfluss nehmen könne auf seine Veranlagungen, Instinkte und Triebe. Denn nichts anderes wäre ja die Erziehung, wie ich gerade beschrieben habe. Aber all diese scheinbaren Erziehungserfolge sind dann jedoch nichts anderes als die temporäre Überlagerung der instinktiven Intensionen des Hundes durch ein in diesem Moment für ihn höherwertigeren Reiz, der von der Belohnung oder ihrer Inaussichtstellung ausgeht. Einfacher ausgedrückt: Es ist nichts anderes als eine Ablenkung, die temporär ihre Wirkung entfaltet. Und die sich daraus ergebende und nicht zu überschätzende Gefahr besteht halt darin, dass sich die instinktive Intension wieder Bahn bricht, sowie die Wertigkeit des Reizes der Belohnung nachlässt.
Aber lassen wir einmal einen Experten erklären, warum eine Belohnung keinen Erziehungseffekt haben kann:
Seine Expertise in Kurzform würde lauten: Konditionierung führt nicht zur Einsicht!
Und etwas ausführlicher: Beide Trainingsziele, sowohl das der Ausbildung als auch das der Erziehung, nutzen die Motivation des Subjektes. Diese tritt allerdings in zwei unterschiedlichen Formen auf, nämlich einerseits als extrinsisch und andererseits als intrinsisch wirkende; will heißen, die eine entfaltet ihre Wirkung durch äußere Anreize (Belohnung oder Vermeidung von Bestrafung), die andere durch innere Antriebe wie Spaß oder Bedürfnisbefriedigung. Die Belohnung besitzt das typische Merkmal eines extrinsischen Motivators und führt bei ihrer wiederholten Anwendung in der Regel zu einer der beiden Arten der Konditionierung, die da sind die klassische und die instrumentelle bzw. operante.
Die klassische Konditionierung, die in unserem Kontext jedoch keine Rolle spielt, ist uns bekannt geworden durch die Versuche des russischen Physiologen Pawlow, der uns die Erkenntnis hinterlassen hat, dass ein angeborener Reflex (Speichelfluss) auf einen natürlichen Reiz (Futter) gekoppelt werden kann an einen zusätzlichen, eigentlich neutralen Reiz (Glocke), und dieser dann – nach mehrmaligem wiederholten Auftreten in unmittelbarem zeitlichen Zusammenhang mit dem ursprünglichen Reiz – ebenfalls zu der biologischen Reaktion führt. Der Hund sabbert dann quasi schon los, nur weil er eine Glocke läuten hört.
Für uns ist aber vielmehr von Interesse die instrumentelle bzw. operante. Sie besagt, dass das durch den Hund eingesetzte „Instrument“ des Verhaltens Einfluss hat auf die Reaktion der Umwelt. Der Hund nutzt quasi sein Verhalten, um eine gewünschte Reaktion der Umwelt zu erfahren. Fällt die Reaktion für ihn positiv aus, so wird er sich in Zukunft immer wieder so verhalten. Im umgekehrten Fall wird er es unterlassen. Darin findet sich übrigens auch die Erklärung dafür, warum der Hund – und das gar nicht mal so selten – sogar das Verhalten des Menschen in seinem Interesse manipulieren kann. Der Mensch redet sich dann zwar meistens noch ein, er selbst bleibe stets Chef im Ring, der Hund wolle ihm nur gefallen. Aber in vielen Fällen – wenn ich mir beispielsweise auf der Straße die vielen bedauernswerten an Adipositas leidenden Kreaturen anschaue, die übrigens bereits ein Viertel aller Hunde ausmachen, für die schon der Bordstein ein unüberwindliches Hindernis darstellt – scheint die Überzeugung, Chef zu sein, doch eher auf dem Wunsch als Vater des Gedankens zu basieren. Denn tatsächlich ist das manipulative Verhalten des Hundes eiskaltes Kalkül und Buhlen um Aufmerksamkeit, Anerkennung, Futter oder sonst irgendeinen Vorteil.
In unserem Kontext nennen wir das Ganze „Lernen durch Belohnung oder Vermeidung von Bestrafung bzw. Erfolg oder Vermeidung von Misserfolg“. Der Unterschied zur operanten Konditionierung besteht darin, dass bei Letzterer beliebiges spontanes oder auch zufälliges und unbeabsichtigtes Verhalten mit betrachtet wird. Operant bedeutet, dass der Hund in einer Umwelt „operiert“, also in ihr agiert oder handelt, und dadurch die Reaktion der Umwelt aktiv beeinflusst.
In der Hundeausbildung nutzt man die operante Konditionierung quasi in umgekehrter Richtung, indem der Trainer ein gewünschtes Verhalten des Hundes aktiv belohnt oder provoziert und dadurch verstärkt, so dass sich das veränderte Verhalten für den Hund lohnt und er dadurch motiviert wird, dieses Verhalten, in der Hoffnung auf Belohnung, immer wieder zu zeigen. Der neurologische Wirkmechanismus dahinter ist das sogenannte mesocortikolimbische Belohnungssystem und ermöglicht das assoziative Lernen. Hierbei spielen Botenstoffe wie Serotonin und Dopamin eine entscheidende Rolle; sie bewirken die Konditionierung.
Manfred Spitzer, Prof. für Psychiatrie beschreibt die Wirkung von Belohnung in seinem Buch „Lernen“ wie folgt: „Das Dopamin … führt zu einer … Freisetzung endogener (körpereigener – der Autor) Opioide im Frontalhirn … Diese Freisetzung stellt subjektiv einen Belohnungseffekt dar (ein angenehmes Gefühl, das im wahrsten Sinne des Wortes süchtig machen kann – der Autor) und im Hinblick auf Informationsverarbeitung eine Art ‚Türöffner‘-Funktion: Die Verhaltenssequenz bzw. das Ergebnis, was zum besser-als-erwarteten Resultat geführt hat, wird weiterverarbeitet und dadurch mit höherer Wahrscheinlichkeit abgespeichert.“
Bei dieser Form des Lernens spielt die Erwartung der Belohnung die entscheidende Rolle. Der Neurotransmitter Dopamin ist quasi der Stoff der Vorfreude, der ausgeschüttet wird, wenn der Hund für ein tolles Kunststück seine Belohnung erwartet und ein Verlangen generiert. Dadurch wird das Belohnungssystem bereits hochgefahren, lange bevor der Erfolg eigentlich eintritt. Versuche haben gezeigt, dass es demgegenüber mit dem Lernen nicht so wirklich klappt, wenn man die Dopaminrezeptoren blockiert.
Allerdings hat das Ganze zwei riesige Haken; und damit kommen wir zu unserem „Problem“: Alle Experten betonen immer wieder, dass die operante Konditionierung nicht zum Lernen durch Einsicht führt. Will heißen, der Protagonist handelt nicht aus intrinsischer Motivation heraus, weil es etwa seiner Bedürfnislage, seinen Instinkten oder Trieben, sprich seinem Dispositionsgefüge, entsprechen würde; nein, er handelt ausschließlich, weil er sich dadurch einen Vorteil verspricht.
Daraus leitet sich der erste Haken ab: Wenn die Belohnung ausbleibt, wirkt die Konditionierung sicherlich oder vielleicht noch eine Weile nach. Aber bleibt sie immer öfter aus, sollte man bedenken, dass sich die Konditionierung wieder verliert. Das bedeutet beispielsweise, wenn man einen mit den Instinkten zum Verteidigen ausgestatteten Rottweiler mittels Belohnung oder positiver Verstärkung davon ablenken wollte, ständig zum Zwecke der Aufklärung an der Leine zu zerren oder jeden beliebigen Feind vertreiben zu wollen, wäre man gezwungen, der Leckerliindustrie und dem Tierarzt einen großen Gefallen zu tun und einen zuverlässigen Beitrag zu deren Gewinnmaximierung zu leisten. Aber noch viel folgenschwerer ist – und daraus leitet sich auch die Gefährlichkeit und Verantwortungslosigkeit eines solchen Unsinns ab, einen Hund durch Belohnung erziehen zu wollen – dass die Konditionierung nichts am Dispositionsgefüge des Protagonisten verändert. Seine Instinkte und Veranlagungen bleiben unverändert bestehen und brechen sich mit Sicherheit wieder Bahn, sowie die Wirkung des extrinsischen Motivators seine Wertigkeit verliert.
Und damit sind wir beim zweiten Haken: Die Erziehung des Hundes, besser gesagt, das Erreichen des Erziehungszieles, bedarf jedoch der Beeinflussung seiner intrinsischen Motivation, weil sie das Ziel verfolgt, eine Änderung seines Dispositionsgefüges zu erreichen. Und das ist mittels extrinsischer Motivatoren nun mal unmöglich. Sie bedarf quasi, ähnlich wie bei der Erziehung eines Kindes, die Einsicht in die Richtigkeit des veränderten Verhaltens. Allerdings können wir nicht, wie bei einem Kind, den Hund durch vernünftige Argumente zur Einsicht bewegen. Hier sind wir gezwungen, den Umweg über seine Bedürfnisse zu gehen, indem wir diese beeinflussen.
Und damit haben wir eigentlich schon die Lösung: Wenn wir wissen, dass die Erziehung des Hundes zum Ziel hat, ihn dahingehend zu beeinflussen, sich nicht mehr entsprechend seiner Veranlagungen oder Instinkte zu verhalten, also nicht mehr Haus und Hof, Kind und Kegel beschützen zu wollen, dann müssen wir ihn von dieser Verantwortung nicht nur entbinden, sondern es ihm auch untersagen. Wir müssen ihm quasi demonstrieren, dass wir statt seiner ab sofort diese Verantwortung übernehmen und ihm jeglichen Entscheidungsspielraum diesbezüglich nehmen, so dass er keinerlei Interesse mehr daran hat, sich und seine Ressourcen verteidigen zu wollen.
Wie das funktioniert, zeige ich jedem Interessierten gerne in nur einer einzigen Trainingseinheit. Denn das ist kein Hexenwerk. Und eines schon vorab: Das viele Geld für die Leckerli können Sie sich sparen und lieber dem Tierheim spenden.
Sascha Bartz
Gartenweg 5, 18236 Neu Karin
0176 / 9679 3389
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