oder
Verwenden Sie doch einfach einen Zauberstab

Ich hatte mich dieses Themas zwar schon einmal angenommen, aber aus aktuellem Anlass drängt es mich, es noch einmal zu tun. Denn in letzter Zeit habe ich mehrmals eine sinngemäß gleichlautende Aussage nicht nur von sich im Netz präsentierenden HundetrainerInnen vernehmen müssen, sondern insbesondere auch von sogenannten FernsehhundetrainerInnen oder zu Talkshows eingeladenen vermeintlichen HundeexpertInnen. Mir kam es vor, sie hätten sich mit Cesar Millan abgesprochen, der ähnlichen Spaß von sich gibt.

Es ging immer um die Antwort auf die Frage, wie man einen verhaltensauffälligen Hund, sei er nun aggressiv oder sonst wie ungehorsam, von diesem ungewollten Verhalten abbringen könne. Oder anders ausgedrückt: Wie kann man einen unerzogenen Hund erziehen? Und nicht selten stellten die JournalistInnen sogar eine sehr konkrete Frage, was man denn als HundebesitzerIn konkret in einem solchen Falle tun könne, wenn der Hund wie verrückt an der Leine zerre oder wie von allen guten Geistern verlassen, jeden anderen Hund oder Menschen ankläffe, als wolle er ihn auffressen?

Auf solche konkreten Fragen hätten die „ExpertInnen“ eigentlich klipp und klar antworten können. Vorausgesetz natürlich, sie hätten klipp und klare Antworten.

Aber entweder sie wollten ihr „Fachwissen“ geheim halten oder – wie ich eher vermute – sie hatten wahrscheinlich gar keines. Zumindest keines, mit dem sie auf diese konkreten Fragen hätten konkret antworten können.

Stattdessen bauten sie verbal voluminös einen regelrechten schleiernen Mythos um sich selbst herum auf und antworteten geradezu salomonisch, dass selbst Sokrates seine wahre Freude gehabt hätte:

Sinngemäß laberten sie alle etwas von einer bestimmten oder gewissen Energie, die der Hundebesitzer ausstrahlen solle. Oder Frauchen bzw. Herrchen sollen durch ihr Selbstbewusstsein ihre Energie auf den Hund übertragen.

Es hätte nur noch gefehlt, sie hätten einen Zauberstab herausgeholt. Das habe ich schon als Kind bewundert, dass der Zauberer mit diesem Stab Energie in einen Hut übertragen kann. Und schwuppdiwup sitzt ein Kaninchen drin.

Das einzig Verwertbare an diesem ausweichenden Rumgelabere, dem man noch einen gewissen Sinn abgewinnen könnte, ist der Begriff „Selbstbewusstsein“. Denn die Sensorik eines Hundes ist durchaus in der Lage, ihn einschätzen zu lassen, ob Frauchen selbstbewusst ist oder nicht. Aber ob Frauchen dieses Selbstbewusstsein auch mit der Übernahme ihrer Führungsrolle bzw. Beschützerrolle gegenüber dem Hund in Übereinstimmung bringt, ist damit noch lange nicht gesagt. Es gibt nämlich durchaus HundehalterInnen, die trotz ihres sehr ausgeprägten Selbstbewusstseins ihren Hund nicht im Griff haben, weil sie es einfach versäumten, ihn zu erziehen. Anders ausgedrückt: Mit Selbstbewusstsein allein erzieht man noch lange keinen Hund. Es ist nur eine gute Voraussetzung für eine erfolgreiche Erziehung, wenn der Hund versteht, dass Frauchen ausreichend selbstbewusst ist, um die Verantwortung für sie beide zu übernehmen.

Bleibt also noch offen, was diese angeblichen Experten mit der „bestimmten“ oder „gewissen Energie“ meinen?

Es gibt in der Psychotherapie einen Diagnose- und Therapieansatz der Energie-Psychologie. Das ist einer derer, die eine Verbindung zwischen Energie und Psychologie herstellen. Aber der ist in unserem Falle sicherlich nicht gemeint.

Ich habe eher den Eindruck, dass in den oben genannten Beispielen mangelndes Fachwissen verschleiert werden soll durch einen verbal aufgebauschten Mythos des nur ihnen als Experten zugänglichen Fachwissens oder der nur ihnen zugänglichen Fähigkeiten, um nicht konkret antworten zu müssen oder den Zuhörer als Dummchen dastehen zu lassen nach dem Motto: „Das begreifen Sie sowieso nicht … mit dem Problem müssen Sie zu mir kommen!“ Und schon ist der mediale Experte geboren, den es anzustaunen gilt und dem das Geld in den Rachen geworfen werden soll.

Damit im Zusammenhang steht die Absicht dieser „Experten“, beim Laien die Einsicht zu projizieren, die Hundeerziehung sei ein sehr komplexer und komplizierter Prozess. Denn dann erscheint es auch sofort einleuchtend, dass die Antwort ja gar nicht so einfach und konkret ausfallen könne. Und ehrfurchtsvoll verneigt sich der Laie vor dem gottgleichen „Experten“ und gibt sich (leider) gutgläubig und staunend mit einer solchen Antwort der „imaginären Energie“ zufrieden.

Bedauerlicherweise ist der Mensch für solch eine Expertenvergötterung anfällig. Nicht zuletzt wegen seiner Gutgläubigkeit gegenüber angeblichem Expertenwissen. Jeder kennt das Prinzip des Placebo-Effekts, den auch Ärzte erfolgreich anwenden, indem dem Geist etwas vorgegaukelt wird, was sich dann tatsächlich in selbstheilenden Prozessen des Körpers transferieren lässt. Tatsächlich lässt sich aber Energie nicht auf andere Lebewesen übertragen.

Was allerdings schön wäre, nach dem Motto: Wir übertragen mal kurz die Energie eines Lebenden auf einen Toten, und schon hätten wir zwei halb lebende oder halb tote. Denn nach dem Energieerhaltungssatz kann Energie nicht erzeugt oder vernichtet werden, nur umgewandelt. Wenn ich dem einen also Energie entziehe und dem anderen übertrage, fehlt zumindest dieser Teil dem einen.

Die Wahrheit ist in Wirklichkeit aber eine sehr einfache: Die Hundeerziehung ist nämlich gar keine so komplexe und komplizierte, wie die vermeintlichen HundeexpertInnen es glauben machen wollen. Auf die ihnen konkret gestellte Frage nach der Lösung für einen an der Leine zerrenden oder kläffenden Hund hätten die „Energie-Experten“, wenn sie tatsächlich Ahnung hätten, kurz und knackig antworten können:
Einem solchen Hund wurde offensichtlich – wie am Zerren und Kläffen zu erkennen –die Verantwortung für die eigene Sicherheit und die von Frauchen übertragen, von der er nur entbunden werden muss.

Und wie ein Hund von seiner Verantwortung entbunden werden kann, das sollte zum Einmaleins einer jeden Hundetrainerin oder eines jeden Hundetrainers gehören.