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„Dummes Zeug“

Kürzlich las ich einen Beitrag in der Schweriner Volkszeitung, in dem sich der Neurobiologe Prof. Dr. Ralph Dawirs den Fragen der Journalistin Sina Wilke zum Sinn oder Unsinn von Babyschwimmen, PEKiP, Englisch im Kindergarten und sonstigen Kinderförderprogrammen äußerte.

Was PEKiP bedeutet, musste ich natürlich erst einmal ergoogeln: „Das Prager Eltern-Kind-Programm (PEKiP) ist ein Konzept für die Gruppenarbeit mit Eltern und ihren Kindern im ersten Lebensjahr, das im Rahmen einer Krabbelgruppe den Prozess des Zueinanderfindens unterstützen soll und auf eine Frühförderung der Babys sowie einen Erfahrungsaustausch der Eltern abzielt.“

Der Ehrgeiz der Eltern scheint keine Grenzen zu kennen und reicht von Babymassage über Babyturnen bis hin zum frühkindlichen Faktenwissen-Training; und alles möglichst immer in Gruppen.

Bei allen angeführten Begründungen des Wissenschaftlers zum Unsinn solcher neurobiologisch sehr fragwürdigen Praktiken musste ich unwillkürlich an Welpenspielgruppen, Welpenschulen oder sonstige Welpenförderprogramme aller Art denken, die nur einen einzigen Nutzen haben: Der Anbieter verdient sehr leicht und gutes Geld.

Interessant für mich waren die Parallelitäten, die ich in den ablehnenden Begründungen erkannte zu meinen Missbilligungen, die ich vorbringe, wenn mich eine Kundin fragt, ob sie die soziale und emotionale Kompetenz ihres kleinen Schützlings nicht in einer Welpenspielgruppe fördern lassen solle.

„Delfi (ähnlicher Quatsch wie PEKiP – der Autor), Babyrhythmik oder Yoga mit Kind? ‚Dummes Zeug‘, sagt Ralph Dawirs. ‚Damit wird ein Riesen-Reibach gemacht, aber für die Entwicklung des Kindes bringt es nichts. Im Gegenteil: Es schadet ihm, weil es die Eins-zu-Eins-Bindung stört. … Und Säuglinge stören andere Säuglinge.“

Auf die Frage, was ein Baby dann stattdessen braucht, antwortet der Neurobiologe: Das Baby brauche zunächst einmal die Erfüllung seiner Bedürfnisse, die Sicherheit, nicht allein gelassen zu werden und viel Körperkontakt; also nichts anderes, als die enge Bindung zur Bezugsperson. „Hier wird der Grundstein für emotionale Kompetenz und Empathie gelegt. Hauptsache Mutter und Kind sind zusammen.“

Treffender könnte man es bezogen auf kleine Welpen kaum ausdrücken. Die Begriffe „Baby“ und „Welpe“ könnten gegeneinander ausgetauscht werden.

Auch kein Welpe braucht zu seiner Persönlichkeitsentwicklung – und schon gar nicht für seine Sozialisation, wie es von den Befürwortern immer gerne vorgebracht wird – irgendeine Begegnung mit anderen Welpen in Form von Welpentreffen aller Couleur. Der Grundstein hierfür  wird stattdessen bereits in seiner Geburtsfamilie gelegt. Und hier sollte er auch möglichst bis zu seiner neunten Woche verbleiben. Alle anderen wichtigen Erfahrungen zur Erlangung seiner intra- und interspezifischen Sozialisation sammelt er in der Eins-zu-Eins-Beziehung mit seiner Bezugsperson, mit der er im Idealfall sein Leben lang zusammenbleibt. Diese Bezugsperson gibt ihm Nähe und körperlichen Kontakt und sorgt in erster Linie für seine Sicherheit. Wenn letzteres der Fall ist, benötigt kein Welpe dieser Welt Kontakt zu anderen Hunden, um seine soziale Kompetenz zu entwickeln. Denn wozu auch? Wenn Frauchen oder Herrchen stets für die Erfüllung seiner Bedürfnisse sorgt, muss er deren Befriedigung ja nicht in der Auseinandersetzung mit seinesgleichen durchsetzen. Er kann völlig entspannt auf die Unterstützung seiner Bezugsperson setzen.

Ein untrügliches Indiz dafür, ob Frauchen oder Herrchen dieses Ziel in der Erziehung ihres Schützlings erreicht haben, ist seine Ignoranz anderen Hunden gegenüber; wenn er ihnen gegenüber ein scheinbar völliges Desinteresse an den Tag legt. Außer während der Läufigkeit.

Die Gefahr, dass ein kleiner Welpe bei einem vom Menschen organisierten „Welpen-Spiel-Treffen“ einen mentalen Schaden nimmt – beispielsweise durch ein vom Menschen kaum wahrnehmbares Mobbing innerhalb dieser sogenannten Spielgruppe – ist ungleich größer als irgendein vermeintlicher Nutzen. Diesen Schaden trägt der kleine Leidtragende aber unter Umständen sein Leben lang mit sich rum und ist der Grundstein für Verhaltensauffälligkeiten wie Aggressionen in seinem Jugend- und Erwachsenenalter. Und ein solcher kann später nur sehr mühsam oder sogar gar nicht durch eine aufwendige Erziehung im wahrsten Sinne des Wortes lediglich „unterdrückt“ oder „überspielt“ werden.

Wesentlich sinnvoller ist stattdessen die demonstrative Übernahme seines Schutzes durch die Bezugsperson, indem diese ihm alle seine Konkurrenten, Rivalen und Feinde vom Leibe hält und sich, auch im wahrsten Sinne des Wortes, demonstrativ vor ihn stellt, wenn einer seiner Artgenossen seinen Weg kreuzt. Wenn Frauchen oder Herrchen stets in seiner Nähe sind und ihn beschützen, ist dies die beste und erfolgreichste Sozialisation, die er sich nur wünschen kann.

Denn Sozialisation bedeutet, konfliktfrei mit seinesgleichen oder anderen Spezies seiner Faune zurechtzukommen. Und die konsequenteste Form einer solchen „friedlichen Koexistenz“ ist die gegenseitige Nichtbeachtung, weil eine gegenseitige Kontaktaufnahme immer nur einem einzigen Zweck dient: Klärung der Absichten des Anderen. Wenn aber die Absichten des Anderen nicht mehr von Interesse sind, weil Frauchen oder Herrchen dies klären, zeigt kein Hund dieser Welt mehr Interesse an einem Kontakt zu einem anderen Hund. Wie gesagt, außer zum Zwecke der Replikation und Weitergabe des eigenen Genoms.