oder

die Macht der Basalganglien

Ein einfaches Experiment: Verschränken Sie Ihre Arme vor der Brust. Nach wenigen Sekunden tauschen Sie die Positionen der Arme, so dass sich der zuvor obenauf liegende unten befindet.

Was sagt Ihr Gefühl? Komisch, oder?

Ihr Gehirn musste soeben seinen gewohnten Pfad verlassen und produzierte deshalb dieses komische Gefühl. Wenn es stattdessen Routinehandlungen ausführen lässt, belohnt es sich selbst mit endogenen (körpereigenen) Opioiden, was zu einem angenehmen Gefühl des Geborgenseins führt. Deshalb fühlt der Mensch sich wohl, wenn alles seinen „gewohnten“ Gang geht. Selbiges fand aber beim gerade beschriebenen Experiment nicht statt, im Gegenteil.

Wenn Sie jetzt schätzen sollten, wie viele Wiederholungen oder wie lange Sie brauchen würden, um das Verschränken Ihrer Arme in der korrigierten Variante zur Gewohnheit werden zu lassen und das Gehirn dann statt des komischen Gefühls wieder das Wohlfühlhormon ausschüttet, lägen Sie bestimmt daneben. Bei manchen Gewohnheiten sprechen Experten von mehreren Monaten, bis eine Handlung in eine Routine übergegangen ist. Essgewohnheiten können schon mal locker 3 Jahre in Anspruch nehmen, bis sie stabil sind.

Mag sein, dass dieses Experiment im ersten Moment weit hergeholt erscheint; aber ich habe gerade eine der Ursachen beschrieben, warum gelegentlich die Therapie eines „Problem“-Hundes im ersten Anlauf scheitert.

Ich bekam nämlich kürzlich eine nicht wirklich lieb gemeinte Mail eines offensichtlich von mir enttäuschten Kunden, in der er seinem Frust unüberlesbar Ausdruck verlieh und äußerte, dass sich mittlerweile das Problemverhalten seines Hundes in genau der gleichen Art wieder eingestellt habe, wie es vor meinem „sogenannten Training“ der Fall gewesen sei. Ich konnte mich auch sofort an diesen Fall erinnern; auch daran, dass wir relativ schnell einen Erfolg erzielt hatten und er recht zufrieden war.

Nachdem ich ihm dann mit viel Zureden nochmal einen auf Kulanz kalkulierten Besuch nahelegen konnte – denn einerseits tun mir solche Fälle natürlich weh und andererseits war ich mir sicher, wo die Lösung lag – haben wir das Problem auch im zweiten Anlauf aus der Welt schaffen können.

Es ärgert mich schon, wenn mich KundInnen kontaktieren müssen, um mir enttäuscht mitzuteilen, dass sich der anfängliche und relativ schnell eingestellte Erfolg unserer Therapie sozusagen in Luft aufgelöst habe und ihr Liebling die gleichen Verhaltensauffälligkeiten zeige wie zuvor. Das ist zwar nur selten der Fall, aber es kommt vor. Und mir ist auch bewusst, dass alle, die an dem schnellen Erfolg eines solchen Trainings zweifeln, solche Misserfolge zu gerne auf den sogenannten Trainereffekt reduziert wissen wollen. Aber dem widerspricht die Erfolgsrate, die man in solchen Fällen durch eine einzige Wiederholung des Trainings erzielt. Auch aus dem Grunde werde ich in einem meiner nächsten Beiträge auf diesen offensichtlich in aller Munde befindlichen „Trainereffekt“ einmal eingehen und eine wahrscheinlich verblüffende Erklärung des Sozialpsychologen bringen und den Mythos ein wenig relativieren. Es gibt aus meinen Erfahrungen nur einen einzigen Grund, wann ein Erziehungstraining scheitern muss und trotz richtigen Verhaltens des Menschen, der Hund sein Verhalten nicht ändert: Wenn ein pathologischer Befund vorliegt.

Zum besseren Verständnis weise ich an dieser Stelle nochmal ausdrücklich darauf hin, dass ich in diesem Kontext mit der Begrifflichkeit Therapie bzw. Erziehung des Hundes nicht seine Ausbildung meine. Eine solche ist wahrhaftig nicht in kurzer Zeit erfolgreich realisierbar, weil sie u.a. auf Wiederholungen basiert und allein schon deshalb, neben dem Anwenden teilweise völlig anderer Mittel und Methoden, mehr Zeit in Anspruch nimmt. Aber davon rede ich hier nicht, sondern von der Erziehung, die im Grunde genommen nicht mehr und nicht weniger ist als die Entbindung des Hundes von irgendeiner Verantwortung, die ihm – meistens unbewusst – durch ein falsches Verhalten der HundebesitzerInnen übertragen wurde. Und da dies in der Regel nichts anderes ist, als die Unterweisung der HundebesitzerInnen mit einer gleichzeitigen Korrektur ihres bisherigen Verhaltens dem Hund gegenüber, ist es eigentlich auch in relativ kurzer Zeit machbar.

Das klingt allerdings einfacher als es ist. Denn die Voraussetzung für den Erfolg dieses Unterfangens ist, dass mir als Trainer zwei Dinge gelingen (was nicht selbstverständlich ist):

  1. Ich muss nicht nur vermeintlich, sondern tatsächlich mit meiner Analyse des hündischen Fehlverhaltens und ihrer Erklärung das Bewusstsein der KundInnen erreichen. Dass mir das nicht zwingend gelungen sein muss, selbst wenn sie mir verbal zu verstehen gegeben haben, dass sie es verstanden hätten, habe ich bereits in einem meiner vorherigen Beiträge erläutert. Und – wie ich es auch in dem Beitrag bereits beschrieben habe – liegt die Verantwortung für das Scheitern dieses Vorhabens in der Regel nicht bei den EmpfängerInnen meiner Nachricht, sondern bei mir.
  2. Es muss mir als Trainer gelingen, Herrchen oder Frauchen zu motivieren, ihr gewohntes Verhalten dem Hund gegenüber tatsächlich zu korrigieren.

Und damit sind wir beim Problem. Wie das zu Beginn beschriebene Experiment zeigt, bedarf eine Gewohnheit, bis sie zu einer solchen wird, mehr oder weniger viele Wiederholungen eines erfolgreichen Handelns. Allerdings ist diese Anzahl von Wiederholungen noch relativ harmlos im Vergleich zu den Wiederholungen, die notwendig sind, um eine Gewohnheit wieder zu “löschen” und durch eine neue oder alternative erfolgreich zu ersetzen.

Welche Prozesse im Gehirn ablaufen, wenn Gewohnheiten entstehen, hat Ann Graybiel, Professorin für Neurowissenschaften am Brain and Cognitive Sceinces Department des Massachusetts Institute of Technology erforscht. Sie ließ Ratten in einem Labyrinth nach einem versteckten Stück Schokolade suchen. Dies wiederholte sie mehrmals und maß währenddessen mittels angeschlossener Elektroden ihre Gehirnaktivitäten. Anfänglich waren alle Gehirnareale beteiligt, die für komplexe Denkprozesse und Entscheidungen zuständig sind und eine erhöhte Aufmerksamkeit bedürfen und dadurch wichtige Bereiche des Gehirns sozusagen in Beschlag nehmen. Je öfter die Tiere aber übten und den Weg zur Belohnung immer sicherer fanden, umso inaktiver wurden diese Bereiche, bis sie ganz aufhörten zu feuern. Aber ein Zellhaufen im Gehirninneren, den man bisher nur mit motorischen Aktivitäten in Verbindung brachte, blieb weiterhin aktiv: Sie werden als Basalganglien bezeichnet, eine Gruppe von Neuronenhaufen, die unterhalb der Großhirnrinde liegt und zum Großhirn gezählt wird. Heute geht man davon aus, dass sie eine Art Handlungsgedächtnis sind, das alle Bewegungsmuster speichert, die sich einmal als erfolgreich bewährt haben. Während sie aktiv sind, kann das restliche Gehirn quasi schlafen, oder steht für wichtigere Dinge zur Verfügung, die das Nachdenken erfordern.

Ein weiterer Effekt von Gewohnheiten ist, neben der guten Energiebilanz, das mit ihnen einhergehende angenehme Gefühl der Sicherheit, welches sie vermitteln. Aber damit entsteht auch das „Problem“, nämlich ihre Macht, die Macht der Gewohnheit. Fluch und Segen zugleich. Der Segen ist die Entlastung des Gehirns von Banalitäten, die in einer komplexen Umwelt erheblich sein können und das Gehirn sehr schnell an seine Kapazitätsgrenzen führen würden, wenn sich das Gehirn in Form von Aufmerksamkeit und Bewusstheit um sie kümmern müsste. Aber was ist der Nachteil?

Der Nachteil von Gewohnheiten wird uns bewusst, wenn wir einmal schlechte Routinen, falsche oder uns nicht guttuende Gewohnheiten ablegen und durch neue ersetzen wollen. Gewohnheiten lotsen uns zwar sozusagen durch das Labyrinth des Lebens und schützen uns vor Überforderung durch Details im Alltag. Aber diese Form der Energieeinsparung ist auch der Grund, warum wir uns so schwer tun mit dem Verändern. „Gewohnheiten sind kleine Süchte“, sagt Professor Wolfram Schultz, Neurowissenschaftler an der University of Cambridge. Das Gehirn trickst sich quasi selbst aus, indem es erfolgreiches Handeln zur Routine werden lässt und dann jedes Mal, wenn die Routine angewendet wird, wieder zusätzlich belohnt, indem es Botenstoffe ausschüttet, die das erwähnte angenehme Gefühl begründen, wie bei einem Junkie. Ohne dass wir es merken, grenzen uns Gewohnheiten ein. Sie führen sogar dazu, dass wir neue Informationen gar nicht mehr wahrnehmen, selbst dann nicht, wenn die neue Information vernünftig klingt und die Lösung eines Problems verspricht. Nach dem Motto: „Wer einen Hammer hat, für den sieht jedes Problem wie ein Nagel aus.“ „Achtsamkeit, Spontaneität und Neugierde sind die Gegenpole zur Gewohnheit“, sagt auch der bekannte Therapeut Nicolas Hoffmann.

Gewohnheiten sind also dann gut, wenn sie uns von unnötigem kognitivem Aufwand befreien; sie sind aber schlecht, wenn sie uns hindern, notwendige Änderungen vorzunehmen. Und genau das trifft zu, wenn ich von Herrchen oder Frauchen verlange, von ihren bisherigen Verhaltensgewohnheiten im Umgang mit ihren Lieblingen Abstand zu nehmen und stattdessen eine andere Verhaltensweise zu ihrer Gewohnheit zu machen.

Grundvoraussetzung für das Gelingen dieses Unterfangens ist natürlich erst einmal das tatsächliche Erkennen und Begreifen des Falschen an der bisherigen Gewohnheit, um überhaupt eine innere Bereitschaft zur Änderung zu erlangen. Erst dann kann der aufwendige Mechanismus zur Etablierung einer neuen Gewohnheit starten. Insofern ist es gar nicht mal so unwahrscheinlich, dass es eine neue Gewohnheit gar nicht schafft, zu einer solchen zu werden, wenn es mir als Trainer nicht gelingen sollte, beim Erklären der Kausalitäten des hündischen Verhaltens einen Aha-Effekt zu erreichen, der sich beispielsweise in Herrchens oder Frauchens Aussage wie folgt offenbaren würde: „Mensch, das ist ja völlig logisch, was sie da sagen!“ Erst wenn Herrchen und Frauchen den Sinn und die Richtigkeit des neuen Verhaltens tatsächlich verstanden und auch akzeptiert haben, sind sie mental bereit, ihr gewohntes Verhalten zu ändern.

An dieser Stelle will ich nochmal auf den eingangs genannten Fall zurückkommen, bei dem ein Hundebesitzer mir seine Enttäuschung mitteilte. Ich konnte ihn – trotz seiner Frustrierung – dazu bewegen, mir eine kurze Videosequenz zuzuschicken, die sein erneutes Problem beim Spaziergang mit dem Hund dokumentiert. Und siehe da: Genau das, was ich ihm zu Beginn unseres damaligen Trainings als Ursache der hündischen Verhaltensauffälligkeit  beschrieben hatte, nämlich die dem Hund übertragene Verantwortung für ihre beider Sicherheit und das Revier, war auf dieser Videosequenz in genau gleicher Weise wieder zu erkennen, obwohl er mir seinerzeit glaubhaft versichert hatte, meine Analyse verstanden zu haben. Der Hund lief jetzt wieder wie zuvor – und von mir als Indiz für eine ihm übertragene Verantwortung identifiziert – an straffer Leine vor ihm her, mit der Nase am Boden, alle „feindlichen“ Informationen inhalierend und den Schwanz steil nach oben gerichtet. Aber von einer sofortigen Korrektur dieses Verhaltens, die ich ihm seinerzeit angeraten hatte, einhergehend mit der demonstrativen Entbindung des Hundes von dieser Verantwortung, war allerdings nichts zu erkennen. Herrchen war offensichtlich wieder in seine alte und „Dopamin produzierende“ Gewohnheit zurückgefallen und ließ den Hund nicht nur gewähren, sondern verlangte von ihm, wie zuvor, das feindliche Revier aufzuklären und sich und Herrchen vor allen Gefahren zu bewahren.

Die Frage, die sich daraus stellt, lautet: Wer trägt dafür die Schuld? Ich als Trainer? Oder er als Hundebesitzer, der das, was ich ihm als Therapieansatz vermittelt habe, nicht anwendet?

Die Antwort, die der Kommunikationswissenschaftler oder Sozialpsychologe darauf geben, lautet: Mache nicht den Empfänger für das Misslingen deiner Wissensvermittlung verantwortlich.

Mir ist es offensichtlich nicht gelungen, mit meiner Analyse zu den Ursachen, warum sich der Hund so verhält wie er sich verhält, das Bewusstsein des Kunden zu erreichen, auch wenn er mir verbal eigentlich bestätigt hatte, es verstanden zu haben. Es ist mir nicht nur nicht gelungen, mit meiner Botschaft bei ihm eine solche Überzeugtheit zu erlangt, dass er bereit gewesen wäre, von seiner alten gewohnten Umgangsform mit seinem Hund Abstand zu nehmen. Es ist mir erst recht nicht gelungen, ihn zum mühsamen Anlegen einer neuen Gewohnheit zu animieren.

Der Unternehmensberater Dr. Reinhard Springer sagt dazu so treffend: „Die Macht der Gewohnheit ist der härteste Klebstoff der Welt.“ Als Trainer bin ich also nur dann erfolgreich, wenn es mir gelingt, für diesen Klebstoff ein Lösungsmittel zu finden.