“Kann man mittels Leckerli einen Hund zur Leinenführigkeit erziehen?”…fragte mich neulich eine junge Frau.

Obwohl mir bewusst war, dass meine Antwort den Grundregeln der Kommunikation widerspricht, antwortete ich ihr trotzdem mit: „Ja, aber…“. Und ich ergänzte noch, zugegeben etwas süffisant, wofür ich mich aber anschließend entschuldigte: „Wenn Sie der Leckerli-Industrie bei ihrer Gewinn- und Profitmaximierung unter die Arme greifen wollen und ihnen die Fettleber ihres Schützlings relativ  egal ist, sollten Sie es tun.“

Ich leitete meine Begründung des „Ja, aber…“ mit der Erklärung ein, dass das „Ja“ sich auf  die Machbarkeit bezieht und das „aber“ auf die mangelnde Sinnhaftigkeit.

Das „Ja“ ergibt sich aus der Legitimität des „assoziativen Lernens“, was die Urform des Lernens an sich ist. Irgendwann lernt ihr Hund halt, dass das Leckerli an die Voraussetzung gebunden ist, bei ihnen zu bleiben und nicht wegzurennen (Stichwort Pawlowscher Effekt).

Und das „aber“ ergibt sich aus der mangelnden Effizienz und der Tatsache, dass der Hund den eigentlichen Sinn des ordentlichen Leinenlaufens gar nicht verstanden hat und das Ganze beim Ausbleiben der Leckerli vermutlich wieder vergisst. Wesentlich effizienter ist die Leinenführigkeit im Rahmen der Erziehung des Hundes erreichbar, sozusagen als angenehmer Nebeneffekt.

Dies habe ich auch in meinem Buch „Problemhunde und ihre Therapie“ beschrieben (siehe Shop).

Was versteht man unter „assoziativem Lernen“?

Immer wenn zwei Stimuli simultan oder zeitnah zueinander auftreten und sie entweder durch häufiges Wiederholen oder durch eine ausreichende Intensität, wie beispielsweise bei einem schockierenden Erlebnis, beim Probanden die Erkenntnis der Zusammengehörigkeit beider Stimuli hinterlassen, kommt es zu einem Lerneffekt, den schon der russische Physiologe Iwan Petrowitsch Pawlow nachgewiesen hat. Man bezeichnet ihn auch als klassische Konditionierung. Pawlow hat damit die „behavioristische Lerntheorie“ begründet und nachgewiesen, dass einer angeborenen unbedingten Reaktion durch Lernen eine bedingte Reaktion sozusagen angehängt werden kann. Wenn ein Hund mittels Leckerli für sein ordentliches Laufen an der Leine immer wieder belohnt wird, assoziiert er irgendwann beides als zusammengehörig; und die Dressur war erfolgreich. Die Herausforderung an den Dresseur resultiert allerdings daraus, dass das gewünschte Laufen an der Leine keine einzelnen sequentiellen Ereignisse sind, die dann unmittelbar belohnt werden können, sondern eine ununterbrochene und andauernde Verhaltensweise sein soll. Etwas spaßig ausgedrückt: Der Ausbilder müsste einen Tornister voller Leckerli dabei haben, damit er ununterbrochen die Verhaltensweise belohnen kann. Dass eine Dressur mittels Leckerli immer wieder zu Erfolgen führt, liegt daran, dass der Hund, so wie viele andere Mitglieder unserer Faune auch, seine Nahrungsration stets maximieren will. Es gibt Tiere, die würden sich, wenn man sie nicht daran hindert oder die natürlichen Ressourcen nicht begrenzt wären, totfressen. Hunde neigen auch zu diesem selbstzerstörerischen Phänomen. Was ich übrigens jeden Tag mit Bedauern auf der Straße beobachten muss, wenn Oma Hedwig sich mit ihrem Mobbelchen, der offensichtlich der Leckerli-Industrie und dem Tierarzt hervorragende Umsätze beschert, über die Bordsteinkante quälen.

Wenn ich die Frage der jungen Frau etwas abändern dürfte und darauf antworten sollte, ob ich als Hundetrainer mit ihr und ihrem Hund die Leinenführigkeit mittels Leckerli üben würde? Dann wäre meine Antwort ein klares „Nein“, insbesondere wenn sie mich dafür bezahlen müsste. Denn ich würde meinen Ruf als Trainer aufs Spiel setzen und den Vorwurf des Abzockens riskieren. Meine Antwort bezieht sich dann jedoch nicht auf die Frage nach der Machbarkeit, sondern ausschließlich auf die Sinnhaftigkeit. Das Ziel der Leinenführigkeit, welches wir dann durch ein relativ langes Üben und immer wieder Üben erreichen und wofür sie mich bezahlen müsste, ist nämlich über die Trainingsmethode des Erziehens wesentlich schneller und nachhaltiger erreichbar und damit finanziell für sie auch wesentlich lukrativer.

Anders läuft das “Leinentraining” ab im Rahmen der Erziehung, sozusagen als ein angenehmer Nebeneffekt:

Etwas zugespitzt kann man sogar sagen, dass sich die Leinenführigkeit als Nebeneffekt einer erfolgreichen Erziehung des Hundes sogar innerhalb kürzester Zeit von ganz allein einstellt. Der Grund liegt in der Sinnhaftigkeit für den Hund. Immer wenn er aus der Art und Weise seines Zusammenlebens mit uns, also insbesondere seines Verhaltens uns gegenüber, einen Vorteil für die Befriedigung seiner Grundbedürfnisse erkennt, wird er sich dementsprechend verhalten. Salopp ausgedrückt: Er müsste doch mit dem Klammerbeutel gepudert worden sein, sich nicht so zu verhalten, dass insbesondere sein Grundbedürfnis nach Sicherheit befriedigt wird. Und genau diese Kausalität kann im Rahmen der Erziehung ausgenutzt werden.

Die Leinenführigkeit wird durch die Erziehung des Hundes im Rahmen der drei Sozialisierungen angestrebt, die da sind: Intraspezifische, interspezifische und umweltspezifische. Erstere bezieht sich auf seine Verträglichkeit mit seinesgleichen, die zweite mit anderen Vertretern der Fauna und insbesondere mit uns Menschen, und die dritte Sozialisierung strebt seine Verträglichkeit mit allen möglichen und unmöglichen Umweltreizen an.

Wenn der Hund im Sinne dieser Sozialisierungen erzogen oder resozialisiert wurde, mithin ihm klar verständlich demonstriert wurde, dass Herrchen oder Frauchen für ihn eine vertrauenswürdige und berechenbare Führungspersönlichkeit sind, an denen er sich zuverlässig orientieren kann und in allen Lebenslagen für ihre beiderseitige Sicherheit sorgen, er also auch keinerlei Verantwortung für irgend eine Ressource wie beispielsweise das Revier hat, wird er sogar ohne Leine, wie mittels eines Klebebandes, an des Menschen Hacken hängen. Denn was sollte ihn dazu veranlassen, den Stress auf sich zu nehmen, das feindliche Revier nach Feinden aufzuklären und Gefahren abzuwehren. Viel angenehmer lebt es sich doch in der wohltuenden Nähe unter fürsorglichem Schutz seines Herrchens oder Frauchens. Insofern ist ein an der Leine zerrender Hund meistens ein Indiz dafür, dass er nicht sozialisiert, mithin erzogen wurde und die Verantwortung für das vor ihm liegende Revier einschließlich der dafür notwendigen Entscheidungsfreiheiten übertragen bekommen hat, bewusst oder unbewusst.

Ergo genügt es, dem Hund klar und verständlich in Form weniger Gesten sein Sicherheitsgefühl zu vermitteln. Und schon wird er, ohne auch nur einen Gedanken daran zu verschwenden, das Weite suchen zu wollen, an der herunter baumelnden Leine neben Frauchen hertrotteln.