Mein Hund ist schrecklich dominant”…

…begann die schier verzweifelt wirkende junge Frau ihre Bitte an mich, ihr doch zu helfen, ihren „Rüpel“ zur Räson zu bringen, falls dies überhaupt noch möglich sei. Sie wolle es noch einmal versuchen, weil sie ihn trotz seiner vielen Macken doch liebe. Daraus entnahm ich, dass sie schon mehrere fehlgeschlagene Versuche hinter sich hatte.

Da ich nicht als Klugscheißer dastehen und sie auch nicht gleich zu Beginn belehren wollte, bat ich sie, erst einmal zu schildern, woran sich dies denn zeige. Und dann zählte sie beinahe das gesamte Repertoire des agonistischen Verhaltens eines Hundes auf, also alle typischen Verhaltensweisen, die mit Konkurrenz, Rivalität und Wettbewerb in Verbindung stehen, einschließlich Imponier- und Drohgebärden. Das einzige, was sie nicht aufzählte, waren die Beschwichtigungs- und Demutsgesten, die natürlich auch in dieses Repertoire gehören. Aber das lag wohl daran, dass sie die Bedeutung des Verhaltens ihres Schützlings fehlinterpretierte und eben fälschlicherweise seiner vermeintlichen Dominanz zuordnete; und da passt ein unterwürfiges Verhalten halt nicht dazu.

Besonders störe sie sein aggressives Verteidigen des Futters und das Rowdytum auf der Hundewiese. Wahrscheinlich habe sie einfach nur Pech, dass sie einen Hund mit einem solch ausgeprägten dominanten Wesen erwischt habe.

Aber spätestens an dieser Stelle musste ich dann doch ein wenig schulmeisterlich intervenieren, aber in erster Linie, um ihr Mut zu machen, dass wir das schon hinkriegen.

Ich musste ihr nämlich erklären, dass es keinen grundsätzlich dominanten Hund gibt und schon gar keinen solchen Wesenszug oder eine solche Charaktereigenschaft. Wenn das so wäre, müsste man sogar unterstellen, dass dies u.U. vererbbar wäre. Aber das ist es ebenso wenig wie eine vererbbare Rangstellung.

Vielmehr ist all das, was sie mir aufzählte, nichts anderes als ein absolut normales Verhalten aufgrund einer ihrem Hund überlassenen oder übertragenen Ressourcenverantwortung verbunden mit einem entsprechenden Entscheidungsspielraum.

Es gibt dazu eine wissenschaftliche Studie, auf die ich auch in meinem Buch „Problemhunde und ihre Therapie…“ hinweise, in der sehr schön beschrieben wird, dass der Begriff Dominanz fälschlicherweise für eine vermeintliche Charaktereigenschaft des Individuums Hund verwendet wird, obwohl es eigentlich eine Eigenschaft in der Beziehung von Individuen beschreibt.

Dominanz oder besser gesagt das Verhalten des dominierenden Parts, ist immer nur eine situative Verhaltensweise bezogen auf eine konkrete Ressource in diesem Moment. Abhängig ist sie von zwei Bedingungen oder Voraussetzungen:

  1. Der Hund hat die Verantwortung für eine Ressource, die ihm bewusst oder unbewusst übertragen wurde; meistens aber unbewusst, ansonsten würde sein daraus resultierendes Verhalten wahrscheinlich nicht als auffällig oder ungewöhnlich interpretiert werden und
  1. Die konkrete Ressource hat für den Hund eine ausreichende Wertigkeit oder Bedeutung, die entweder grundsätzlicher Natur sein kann oder aber nur situationsabhängig wirkt. In der englischsprachigen Studie wird dies als „subjective resource value“ (subjektive Ressourcen Wertigkeit) bezeichnet und beschreibt die Bedeutung, die diese konkrete Ressource in diesem Moment für den Hund gerade hat. Vergleichbar mit einem menschlichen Phänomen, wonach ein spielendes Kind in einer konkreten Situation ein ganz bestimmtes Spielzeug scheinbar “bis aufs Blut” verteidigen, in einer anderen Situation dieses aber jedem anderen Interessenten großzügig überlassen würde, weil gerade ein anderer Gegenstand sein Interesse bindet.

Insofern ist all das, was die verzweifelte junge Frau mir an vermeintlichem Dominanzgebaren ihres Schützlings beschrieben hat, nichts anderes, als das Ergebnis eines ihm zugestandenen zu großen Entscheidungsspielraums. Sie hat ihm offensichtlich Ressourcenverantwortungen übertragen nicht nur für sein Futter, sondern sogar, wie an seinem vermeintlichen Rowdytum auf der Hundewiese erkennbar, für das Revier. Und wenn ein Hund im Besitz einer Ressource ist, die ihm zugestanden wird, und die für ihn eine ausreichende Bedeutung hat, wird er diese auch entsprechend energisch verteidigen bis hin zur Aggression.

Somit liegt die Lösung und damit die Hilfe für die junge Frau auf der Hand: Entbindung des Hundes von der Verantwortung für die ihm offensichtlich übertragenen oder zugestandenen Ressourcen und damit verbunden, die Einschränkung seines Entscheidungsspielraumes. Dazu muss Frauchen ihm deutlich zeigen, dass sie ihm in allen Lebenslagen ein zuverlässiger und berechenbarer Garant zur Sicherstellung seiner Grundbedürfnisse ist, an der er sich orientieren und zu der er uneingeschränktes Vertrauen haben kann.

Wie dies funktioniert, habe ich ihr in einer einzigen Trainingseinheit erklärt. Und es sollte mit dem Teufel zugehen, vorausgesetzt, sie hält sich konsequent an die vereinbarten Regeln, wenn ihr Schützling dann nicht sein Machogebaren ablegt.

Aber sein Wesen ist dann noch das gleiche wie vorher: Ein liebenswerter und treuer Freund, der es nicht in seinen Genen verankert hat, dominant sein zu wollen.

Zum besseren Verständnis sei mir aber noch eine abschließende Bemerkung zur Dominanz gestattet: Der Schlüssel zum besseren Verstehen der Begrifflichkeit Dominanz und was sich dahinter tatsächlich verbirgt, liegt wahrscheinlich in dem Verständnis, dass sie eine Eigenschaft der Beziehung zwischen Individuen beschreibt und die Dominanzbeziehung, die zwischen Individuen entsteht, eher das Ergebnis einer Anerkennung des Überlegenen durch den Rangniederen ist, und nicht umgekehrt das Ergebnis eines eventuell sogar aggressiven Einforderns des dominanten Parts ist. Unter Beachtung dessen entpuppen sich nämlich eine Vielzahl von angeblichen Dominanzgebaren als gar keine solchen, und anders herum, werden tatsächliche Situationen, die eine Dominanzbeziehung charakterisieren, als gar nicht solche erkannt. Ein Beispiel für Letzteres: Sollten sich in einem Rudel einmal die Raufbolde in die Wolle kriegen, ist nicht zwingend der dominante auch der größte Raufbold; im Gegenteil, der liegt meistens erhaben und entspannt am Rande des Geschehens und beobachtet das Ganze höchst gelangweilt. Erst wenn es ihm zu bunt wird und eigene Interessen betroffen sind, wird er sich erheben und aufrechten Ganges, vielleicht noch mit ein paar imponierenden Gesten, durch diese Meute schreiten und für Ordnung sorgen. Und das Ganze noch, ohne sich die Pfoten schmutzig zu machen. Denn auch das ist ein wesentliches Kriterium der Dominanz:

Sie führt nicht, wie vielleicht angenommen, zu mehr Streitigkeiten oder Auseinandersetzungen, sondern bewirkt genau das Gegenteil, nämlich das friedliche Schlichten und Vermeiden von Auseinandersetzungen. Indem nämlich die Beziehung in einer Hierarchie dadurch gekennzeichnet ist, dass das Unterwerfen eine aktive und vom sich Unterwerfenden ausgeht.

Insofern kommt es zwischen Hund und Mensch immer dann zum Konflikt, wenn Frauchen ihren ihr zustehenden dominanten Part nicht ausfüllt und der Hund meint, eine Ressource verteidigen zu müssen, die ihm aber eigentlich gar nicht gehören sollte.